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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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in einem schmuddligen Kleidchen auf dem Fußboden umher, und da es dort unten zog, erkältete er sich in einem fort und schniefte, weil ihm die Nase lief. Er war dann sehr lästig, und es gab seinetwegen oft Ärger in der Familie. Denn seine Mutter hegte, mehr als für ihre anderen Kinder, die reinste Affenliebe für ihn und machte um ihn viel Gewese, ließ ihm alles durchgehen und brach in Tränen aus, wenn Jurgis seines ewigen Plärrens wegen in Harnisch geriet.
    Und nun starb er. Vielleicht war es die Räucherwurst, die er am Morgen gegessen hatte – wußte man denn, ob sie nicht aus jenem tuberkulösen Schweinefleisch hergestellt gewesen war, das nicht exportiert werden durfte? Wie dem auch sein mochte, das Kind begann eine Stunde später vor Schmerzen zu brüllen, und nach einer weiteren Stunde wand es sich in Krämpfen auf dem Boden. Die kleine Kotrina, die ganz allein mit ihm war, lief hinaus und schrie um Hilfe, und nach einer Weile kam ein Arzt, aber da hatte Kristoforas schon seinen letzten Seufzer getan. Niemand war darüber sehr traurig, ausgenommen natürlich die völlig untröstliche Elzbieta. Jurgis erklärte, er sei unbedingt dafür, das Kind von der Stadt unter die Erde bringen zu lassen, denn für ein Begräbnis hätten sie kein Geld. Das brachte die arme Frau fast um den Verstand; sie rang die Hände und schrie vor Kummer und Verzweiflung. Ihr Kind in ein Armengrab! Und ihre Stieftochter höre das mit an, ohne ein Wort dagegen zu sagen! Da drehe sich ja ihr Vater im Grabe um! Wenn sie schon so weit gekommen seien, können sie ja gleich aufgeben und sich alle mit beerdigen lassen! Am Ende erbot sich Marija, zehn Dollar beizusteuern, und da Jurgis trotzdem nicht mit sich reden ließ, lief Elzbieta unter Tränen los und erbettelte das Geld von den Nachbarn. So bekam der kleine Kristoforas dann eine Messe, einen Leichenwagen mit weißen Federbuschen drauf und auf dem Friedhof eine winzige Grabstelle mit Holzkreuz. Seine Mutter war noch Monate hinterher nicht wieder die alte; der bloße Anblick des Fußbodens, auf dem der Kleine umhergekrochen war, brachte sie zum Weinen. Das arme Kerlchen habe nie eine echte Chance gehabt, sagte sie immer, sei ja schon von Geburt an benachteiligt gewesen – wenn sie doch nur rechtzeitig von dem berühmten Arzt gehört hätte, denn von dem wäre er vielleicht von seiner Lahmheit geheilt worden! Elzbieta hatte nämlich inzwischen erfahren, daß vor einiger Zeit ein Chicagoer Milliardär es sich hatte ein Vermögen kosten lassen, einen großen Chirurgen aus Europa herüberzuholen, damit er sein Töchterchen von dem gleichen Gebrechen heile, mit dem Kristoforas behaftet gewesen war. Und da dieser Chirurg Versuchskaninchen brauchte, hatte er verkündet, daß er Kinder von Armen behandeln wolle, über welches Beispiel von Großmut sich die Zeitungen lang und breit ausließen. Leider las Elzbieta keine Zeitungen, und erzählt hatte es ihr keiner; aber vielleicht war das ganz gut so, denn damals hätten sie weder das Fahrgeld für den täglichen Arztbesuch noch jemanden mit Zeit zum Hinbringen des Kindes gehabt.
     
    In all den Monaten seiner Arbeitssuche hing über Jurgis ein dunkler Schatten; es war, als lauere auf seinem Lebenspfad irgendwo eine Bestie und als ziehe es ihn trotz seines Wissens davon unaufhaltsam zu jener Stelle hin. Es gibt in Packingtown alle möglichen Stadien von Arbeitslosigkeit, und Jurgis erkannte mit Grausen, daß er sich immer mehr dem schlimmsten näherte, jenem, in dem nur noch eines bleibt: die Düngerfabrik!
    Von der sprachen die Arbeiter bloß schaudernd und im Flüsterton. Nur jeder zehnte hatte es wirklich mit ihr versucht, die anderen neun waren bereits vom Hörensagen oder kurzen Hineingucken bedient; es gab eben noch Schlimmeres als Verhungern. Sie fragten Jurgis, ob er dort schon gewesen sei; versuchen könne er es ja mal. Und Jurgis ging mit sich zu Rate. So arm, wie sie waren, und angesichts all der Opfer, die sie brachten, durfte er da überhaupt eine Arbeit ausschlagen, selbst wenn sie noch so widerwärtig sein mochte? Konnte er es fertigbringen, nach Hause zu gehen und Brot zu essen, das seine schwache und kränkliche Ona verdient hatte, wenn er von einer sich bietenden Chance wußte und nur nicht Manns genug war, sie zu ergreifen? Aber so sehr er sich auch ständig auf diese Weise ins Gewissen redete, ein einziger Blick in die Düngerfabrik ließ ihn entsetzt wieder umkehren. Doch er war ein Mann und wollte seine Pflicht tun; also

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