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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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ihre Schulden abtragen und anfangen, ein bißchen was zurückzulegen. Einige der gebrachten Opfer dünkten ihnen auf die Dauer aber zu schwer. Zum Beispiel daß die Jungen in ihrem Alter schon Zeitungen verkaufen mußten. Ohne es zu merken, nahmen sie den Ton ihrer neuen Umgebung an; Ermahnungen und Vorhaltungen nutzten da nichts. Sie lernten, in fließendem Englisch zu fluchen; sie lernten, Zigarrenstummel aufzuheben und zu rauchen; sie lernten, wo sich am »Levee« die Freudenhäuser befanden, wie deren »Madames« hießen und an welchen Tagen diese ihre großen Bankette gaben, zu denen alle hohen Polizeibeamten und Politiker kamen. Wenn ein Provinzonkel sie fragte, wo sich denn die berüchtigte Spelunke von »Hinkydink« befinde, konnten sie es ihm zeigen, und obendrein die diversen Berufsspieler, Gangster und schweren Jungs mit Namen nennen, deren Stammlokal das war. Schlimmer noch, die beiden gewöhnten sich an, für die Nacht nicht mehr nach Hause zu kommen. Wozu, so fragten sie, Zeit und Kraft und womöglich auch noch Fahrgeld vergeuden, um jeden Abend nach Packingtown hinauszufahren, wenn man bei schönem Wetter doch genausogut unter einem Fuhrwerk oder in einem Torweg schlafen könne? Solange sie für jeden Tag einen halben Dollar heimbringen, wäre es doch egal, wann sie ihn bringen! Doch Jurgis erklärte, dann sei es kein sehr weiter Schritt dahin, überhaupt nicht mehr nach Hause zu kommen. So wurde beschlossen, Vilimas und Nikalojus im Herbst wieder zur Schule zu schicken; dafür sollte sich Elzbieta Arbeit suchen und ihren Platz daheim von Kotrina übernehmen lassen.
    Wie für die meisten Kinder der Armen war für die kleine Kotrina die Kindheit vorzeitig zu Ende; sie mußte ihren verkrüppelten Bruder und ebenso das Baby versorgen; sie mußte Essen kochen, Geschirr waschen, das Haus saubermachen und das Abendbrot fertig haben, wenn die anderen von der Arbeit kamen – obwohl sie erst dreizehn war und noch dazu klein für ihr Alter, tat sie das alles ohne Murren. Ihre Mutter machte sich also auf die Suche, und nach ein paar Tagen fand sie eine Stelle als Arbeiterin an einer Wurstfüllmaschine.
    Elzbieta war Arbeiten gewohnt, aber die Umstellung fiel ihr doch schwer, denn sie mußte unentwegt auf einem Fleck stehen, und das von sieben Uhr früh bis mittags halb zwölf und dann wieder bis halb sechs. Die ersten Tage meinte sie, es nicht durchhalten zu können – sie litt beinahe so sehr wie Jurgis zu Anfang unter dem Dünger, und wenn sie bei Sonnenuntergang aus der Fabrik herauskam, war ihr ganz schwarz vor Augen. Hinzu kam, daß sie in einem dunklen Loch bei künstlichem Licht arbeitete und auch die Feuchtigkeit dort sehr ungesund war; immer standen auf dem Fußboden Wasserlachen und hing im Raum ein ekelerregender Geruch nach feuchtem Fleisch. Einem alten Naturgesetz nach nimmt das Schneehuhn im Herbst die Farbe des Dürrlaubs und im Winter die des Schnees an und ist das Chamäleon schwarz, wenn es auf einem Baumstamm liegt, aber grün, wenn es über ein Blatt kriecht. Ähnlich war es mit den hier arbeitenden Frauen: Sie hatten genau die Farbe der »frischen Landwurst«, die sie herstellten.
    Der Wurstsaal lohnte eine Besichtigung, sofern man nur zwei, drei Minuten blieb und sich die darin arbeitenden Menschen nicht ansah, denn die Maschinen hier waren das wohl Großartigste der gesamten Fabrikanlage. Vermutlich wurde die Wurstmasse früher mit der Hand zerkleinert und in die Därme gefüllt, und deshalb wäre es interessant zu wissen, wie viele Arbeiter durch diese Erfindungen verdrängt worden sind. Auf der einen Seite des Saales befanden sich die Fülltrichter, in die die Männer Wagenladungen Fleisch und Schubkarrenladungen Gewürze hineinschaufelten; in diesen riesigen Kummen rotierten Messer, die tausend Umdrehungen in der Minute machten, und wenn das Fleisch feingehackt, mit Kartoffelpülpe versetzt und gut mit Wasser vermischt war, wurde es durch Rohre zu den auf der anderen Seite des Raumes stehenden und von Frauen bedienten »Wurstfüllern« hinübergeleitet. Diese hatten eine Art Stutzen, ähnlich wie die Spritzdüse an einem Gartenschlauch, und eine der Frauen nahm einen langen Darm, schob ihn mit dem Ende auf den Stutzen und streifte ihn dann ganz rüber, so wie man einen engen Handschuh über die Finger streift. Der Darm war sechs bis acht Meter lang, aber die Arbeiterin schaffte das im Handumdrehen, und nachdem sie mehrere Därme aufgezogen hatte, drückte sie einen Hebel herunter, und

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