Der Dschungel
ging er hin und bewarb sich – aber daß er auch noch hoffte, angenommen zu werden, das konnte kein Mensch von ihm verlangen!
Durhams Düngerwerk befand sich abseits von der übrigen Fabrikanlage. Besucher wurden kaum jemals hier hergeführt, und wenn doch, dann sahen sie hinterher aus wie Dante nach der Rückkehr aus der Hölle, in der er nach Behauptung mancher seiner Zeitgenossen wahrhaftig gewesen sein soll. In diesen Teil der Yards kamen die Rückstände aus den Brühkesseln und alle möglichen Abfälle; hier wurden die Knochen getrocknet – und in stickigen Kellern, in die nie das Tageslicht drang, konnte man Männer, Frauen und Kinder sehen, die sich über rotierende Maschinen beugten und Knochenstücke in verschiedene Formen zersägten; sie atmeten dabei den feinen Staub in ihre Lungen, und einer wie der andere wurden sie in absehbarer Zeit zu Todeskandidaten. Hier verarbeitete man Blut zu Albumin und andere übelriechende Substanzen zu noch übler riechenden Stoffen. Das erfolgte in einem Labyrinth von Gängen und Gewölben, wo man sich so verlaufen konnte wie in der Mammuthöhle von Kentucky. In dem Staub und Dunst flimmerten die elektrischen Lampen wie ferne Sterne – rot und blau, grün und violett, je nach der Farbe des Dampfes und der Brühe, aus der jener kam. Für die Gerüche in diesen gespenstischen Beinhäusern mag es vielleicht im Litauischen Wörter geben, im Englischen jedoch nicht. Wer hier eintrat, mußte dafür soviel Mut aufbringen wie für einen Kopfsprung in eiskaltes Naß. Er bewegte sich vorwärts wie unter Wasser schwimmend; er hielt sich das Taschentuch vors Gesicht und fing an zu husten und zu würgen, und hatte er dann noch immer nicht genug, merkte er, daß ihm der Kopf zu dröhnen und das Blut in den Schläfen zu pochen begann, bis er schließlich von einer überwältigenden Wolke Ammoniakdampf überfallen wurde. Da machte er schleunigst kehrt, rannte um sein Leben und war beim Herauskommen immer noch halb betäubt.
Im Erdgeschoß befanden sich die Hallen zum Trocknen der Kesselrückstände, also des Abfalls jenes Abfalls, dem man das Schmalz und den Talg entzogen hatte. Waren sie zu einer faserigen braunen Masse getrocknet, wurde diese fein zermahlen, und nachdem man sie mit einem geheimnisvollen, aber ganz wirkungslosen gleichfarbigen Gestein vermengt hatte, das dazu in Hunderten von Waggonladungen herbeigeschafft und pulverisiert wurde, war die Mischung fertig zur Abfüllung in Säcke, um als eine der zig Sorten von herkömmlichen Knochenphosphat in alle Welt hinauszugehen. Der Farmer in Maine, Kalifornien oder Texas kauft davon eine Tonne zum Preis von etwa fünfundzwanzig Dollar und pflanzt damit seinen Mais an; mehrere Tage lang strömen die Felder dann einen strengen Geruch aus, und der haftet auch dem Farmer und seinem Wagen an, ja sogar den Pferden, die ihn gezogen haben. In Packingtown aber ist der Dünger rein, nicht nur eine Beigabe, und es handelt sich nicht bloß um eine Tonne, ausgestreut über viele Äcker unter freiem Himmel, sondern es liegen Tausende Tonnen in einem einzigen Gebäude, hier und da aufgeschüttet zu heuschobergroßen Haufen, überall aber den Boden mehrere Zoll hoch bedeckend und die Luft mit einem erstickenden Staub erfüllend, der bei Wind zum alles verdunkelnden Sandsturm wird.
Zu diesem Gebäude kam Jurgis jeden Tag, wie von einer unsichtbaren Hand dort hingezerrt. Der Mai war außergewöhnlich kühl, und Jurgis’ geheime Gebete wurden erhört, aber Anfang Juni setzte eine Hitzewelle ein, und da brauchten sie in der Düngerfabrik mehr Leute.
Der Aufseher der Mahlhalle kannte Jurgis inzwischen schon und hatte ihn als einen in Frage kommenden Mann vorgemerkt, und als Jurgis an diesem drückend heißen Tag um zwei Uhr zur Tür kam, fühlte er, wie ihn ein plötzlicher Schmerz durchzuckte: Der Aufseher winkte ihn heran! Zehn Minuten später hatte Jurgis Jacke und Hemd abgelegt und war mit zusammengebissenen Zähnen bei der Arbeit.
Die zu erlernen dauerte nicht länger als eine Minute. Vor ihm befand sich einer der Ausgabeschächte der Mahlmaschine, und daraus schoß der Dünger als großer brauner Strom hervor und wirbelte Wolken von feinstem Staub auf. Jurgis bekam eine Schaufel in die Hand gedrückt und mußte zusammen mit einem halben Dutzend Männern diesen Dünger auf Karren schippen. Daß noch andere an der Arbeit waren, merkte er nur daran, daß er sie hörte und manchmal mit ihnen zusammenstieß, denn in den Staubwolken konnte man
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