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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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wo er es zuerst versucht hatte, etwas frei geworden, und so begann er die Runde wieder von vorn, bis die Wachmänner und Werkpolizisten sein Gesicht schon kannten und ihn unter Drohungen hinauswarfen. So blieb auch ihm am Ende nur, morgens mit den vielen anderen zu warten, sich in der vordersten Reihe zu halten, einen alerten Eindruck zu machen und dann, wenn es wieder nichts geworden war, nach Hause zu gehen und mit der kleinen Kotrina und dem Baby zu spielen.
    Besonders bitter für Jurgis war, daß er so klar erkannte, woran das alles lag. Als er herkam, hatte er frisch und kräftig ausgesehen und deshalb gleich am ersten Tag Arbeit erhalten; jetzt aber wirkte er bereits abgenutzt, war sozusagen Gebrauchtware, und da wollten sie ihn nicht mehr. Sie hatten das Beste aus ihm herausgeholt – hatten ihn mit ihrem Tempovorlegen und ihrer Rücksichtslosigkeit verschlissen und dann auf den Schrotthaufen geworfen. Jurgis lernte andere Arbeitslose kennen und erfuhr, daß es denen allen genauso ergangen war. Natürlich befanden sich auch Zugewanderte darunter, aber die waren vorm Herkommen schon anderswo in ähnlichen Mühlen zermahlen worden; und ein paar standen auch aus eigener Schuld auf der Straße – manche hatten es zum Beispiel nicht geschafft, die Schinderei ohne Alkohol durchzuhalten. Bei der Mehrzahl jedoch handelte es sich schlicht um abgenutzte Teile der großen erbarmungslosen Yard-Maschine; sie hatten dort geschuftet, zehn oder zwanzig Jahre lang, bis die Zeit gekommen war, da sie das verlangte Tempo nicht mehr durchstehen konnten. Manchen war unverblümt gesagt worden, sie wären zu alt, es müsse jemand Fixeres her; bei anderen hatte ein Versehen oder ein kleiner Fehler ihrerseits den Anlaß gegeben, bei den meisten aber war es genauso gewesen wie bei Jurgis. Schon so lange überarbeitet und unterernährt, waren sie schließlich von irgendeiner Krankheit niedergeworfen worden, oder sie hatten sich geschnitten und sich eine Blutvergiftung zugezogen, oder es war ihnen ein anderer Unfall zugestoßen. Kam der Arbeiter danach zurück, hing es einzig und allein vom Wohlwollen des Meisters ab, ob er seine Stelle wiedererhielt. Eine Ausnahme davon gab es nur, wenn die Firma für den Unfall haftpflichtig war; da schickten sie einen wortgewandten Anwalt zu dem Verunglückten, der ihn zum Unterschreiben einer Verzichterklärung auf jegliche Ansprüche zu beschwatzen suchte und, wenn der Mann nicht dumm genug war, das zu tun, mit der Zusicherung nachhalf, man würde ihm und seinen Angehörigen immer Arbeit geben. Und sie hielten dieses Versprechen auch getreulich ein – ganze zwei Jahre lang. Dann war nämlich die Verjährungsfrist abgelaufen, nach der das Opfer nichts mehr einklagen konnte.
    Was aus einem Arbeiter nach so einer Sache wurde, hing von den jeweiligen Umständen ab. Gehörte er zur Schicht der hochqualifizierten Facharbeiter, hatte er wahrscheinlich genug Rücklagen, um sich über Wasser zu halten. Die bestbezahlten Leute, die »Spalter«, verdienten fünfzig Cent die Stunde, was in der Hochsaison fünf bis sechs und in der Flautezeit einen bis zwei Dollar am Tag ergab; davon konnte man leben und auch noch was auf die hohe Kante legen. Aber Spalter gab es in jeder Firma nur ein halbes Dutzend; Jurgis kannte einen, der hatte zweiundzwanzig Kinder, und die wollten natürlich alle einmal dasselbe werden wie ihr Vater. Bei einem Hilfsarbeiter, der in der guten Zeit zehn und in der schlechten fünf Dollar wöchentlich verdiente, kam es darauf an, wie alt er war und für wie viele Personen er zu sorgen hatte. Ein Junggeselle konnte davon noch sparen, wenn er nicht trank und egoistisch genug war, niemanden zu unterstützen – weder seine alten Eltern noch seine jüngeren Geschwister oder sonstige Verwandte, weder seine Gewerkschaftskameraden noch seine Freunde oder die Leute nebenan, die vielleicht am Verhungern waren.

13
    In die Zeit, da Jurgis nach Arbeit suchte, fiel auch der Tod vom kleinen Kristoforas, dem jüngsten von Teta Elzbietas Kindern. Ebenso wie sein Bruder Juozapas, dem man ein Bein abgefahren hatte, war Kristoforas ein Krüppel. Er hatte eine angeborene Hüftgelenkverrenkung, so daß er niemals laufen lernte; vielleicht hatte die Natur seiner Mutter durch ihn zu verstehen geben wollen, daß sie mit dem Kinderkriegen Schluß machen solle. Jedenfalls war er ein rachitischer Kümmerling und mit seinen drei Jahren nicht größer als ein normaler Einjähriger. Den ganzen Tag krabbelte er greinend

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