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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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weggegangen?«
    Er sah ihr gerade ins Gesicht und konnte die ihr plötzlich in die Augen tretende Unsicherheit sehen. »Ich ... ich mußte ... einholen gehen«, stammelte sie fast unhörbar. »Ich ...«
    »Du lügst mich an«, unterbrach er sie. Mit geballten Fäusten trat er einen Schritt näher. »Warum lügst du mich an?« rief er zornentbrannt. »Was treibst du, daß du das tun mußt?«
    »Jurgis!« Sie stand auf. »O Jurgis, wie kannst du nur!«
    »Du hast mich angelogen, sage ich!« brüllte er. »Hast mir erzählt, du wärst damals die Nacht bei Jadvyga gewesen, aber dort warst du gar nicht. Sondern da, wo du auch letzte Nacht gewesen bist – irgendwo in der City, denn ich habe dich aus der Bahn steigen sehen. Also – wo warst du?«
    Es war, als hätte er ihr ein Messer ins Herz gestoßen. Sie schien völlig zusammenzubrechen. Eine halbe Sekunde stand sie schwankend da, starrte ihn mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen an, dann taumelte sie mit einem Angstschrei auf ihn zu und streckte ihm die Arme entgegen.
    Er aber trat absichtlich zur Seite und ließ sie stürzen. Sie fing sich an der Bettkante ab, sank dann nieder, vergrub das Gesicht in den Händen und begann hemmungslos zu weinen.
    Es folgte einer jener hysterischen Anfälle, bei denen ihm so oft bange geworden war. Ona schluchzte und heulte, ihre Angst und ihre Qual steigerten sich immer mehr. Wilde Stürme der Erregung schüttelten sie wie ein Unwetter die Bäume auf den Hügeln; sie bebte und flog am ganzen Leibe, als hätte ein böser Teufel von ihr Besitz ergriffen, der sie folterte und zerfleischte. Sonst hatte das Jurgis immer Furcht und Schrecken eingejagt, jetzt jedoch stand er mit zusammengepreßten Lippen und geballten Händen da – mochte sie sich totheulen, diesmal würde sie ihn nicht rühren, kein bißchen. Da ihm bei ihren Schluchzern aber doch das Blut erstarrte und die Lippen zuckten, war er froh über die Unterbrechung, als die Tür aufging und Teta Elzbieta schreckensbleich hereingestürzt kam. Dennoch fuhr er sie mit einem Fluch an. »Raus!« brüllte er. »Raus!« Und als sie zögernd stehenblieb und zum Sprechen ansetzte, packte er sie beim Arm, schob sie unsanft hinaus, schlug die Tür zu und rückte den Tisch davor. Dann drehte er sich wieder zu Ona um und schrie: »Los – antworte mir!«
    Doch sie hörte ihn gar nicht – sie war noch in der Gewalt des bösen Geistes. Jurgis sah, wie ihre ausgestreckten Hände zitternd über das Bett fuhren, als hätten sie eigenes Leben; er sah, wie ihr Leib von Zuckungen ergriffen wurde, die sich dann bis in die Gliedmaßen fortsetzten. Sie schluchzte und würgte; es war, als hätten die Laute gar nicht alle Platz in einer einzigen Kehle, als stürzten sie gleich Meereswellen übereinander. Dann wuchs ihre Stimme zum Kreischen an, das immer lauter und greller wurde, bis es schließlich in einen wilden und schrecklichen Lachkrampf umschlug. Jurgis ertrug es, solange er konnte; dann sprang er zu ihr hin, packte sie bei den Schultern, rüttelte sie und brüllte ihr ins Ohr: »Hör auf, sag ich! Hör auf!«
    Aus ihrer Qual sah sie zu ihm hoch, dann sank sie vor seine Füße und umklammerte sie trotz seines Versuchs, zur Seite zu treten; mit dem Gesicht auf dem Fußboden lag sie da und krümmte sich. Sie so wimmern zu hören schnürte Jurgis die Kehle zu, und er schrie sie abermals und noch heftiger an: »Hör auf, sag ich!«
    Diesmal gehorchte sie, verhielt den Atem und blieb still bis auf die keuchenden Schluchzer, die ihren ganzen Körper schüttelten. Eine endlose Minute lang lag sie völlig reglos, so daß ihren Mann kalte Angst packte und er schon dachte, sie sterbe. Plötzlich aber vernahm er ganz schwach ihre Stimme: »Jurgis! Jurgis!«
    »Was ist?« sagte er.
    Er mußte sich zu ihr niederbeugen, so kraftlos war sie. In abgebrochenen, mühsam hervorgebrachten Sätzen flehte sie ihn an: »Hab doch Vertrauen! Glaube mir!«
    »Glauben – was?« schrie er.
    »Daß ich ... daß ich schon weiß, was ich tue ... Daß ich dich liebe! Und frag nicht mehr – nicht danach. O Jurgis, bitte, bitte! Es ist besser so ... es ist ...«
    Er wollte sie unterbrechen, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen, redete hastig weiter: »Wenn du nur wolltest ... mir ... mir nur glauben wolltest. Ich habe keine keine Schuld ... Es ging nicht anders ... Es wird alles wieder gut ... Es ist ja nichts ... nichts, was etwas zu bedeuten hat. Ach, Jurgis, bitte, bitte!«
    Sie klammerte sich an ihn, versuchte sich

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