Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
hoch und schmetterte es mit dem Hinterkopf auf den Boden.
    Natürlich geriet der ganze Saal in Aufruhr: Frauen kreischten oder fielen in Ohnmacht, Männer kamen herbeigestürzt. Jurgis war so bei der Sache, daß er nichts davon wahrnahm; er merkte kaum, daß man ihn zu hindern suchte. Erst als ihn bereits ein halbes Dutzend Männer an Beinen und Schultern gepackt hatten und an ihm zerrten, begriff er, daß man ihm seine Beute entreißen wollte. Blitzschnell fuhr er mit dem Kopf nieder und stieß die Zähne in Connors Wange. Als sie ihn wegrissen, triefte er von Blut und hingen kleine Fetzen Haut in seinem Mund.
    Sie zwangen ihn zu Boden, aber obwohl sie sich an seine Arme und Beine klammerten, konnten sie ihn kaum halten. Er kämpfte wie ein Löwe, warf sich herum, schüttelte sie halb ab und stürzte sich wieder auf seinen bewußtlosen Feind. Aber es mischten sich immer mehr Männer ein, bis sich ein regelrechter Berg von verschlungenen Gliedern und Leibern zuckend und stoßend durch den Flur wälzte. Am Ende drückten sie Jurgis durch ihr bloßes Gewicht den Atem ab und trugen ihn dann zur Werkwache, wo er still liegenblieb, bis die Polizei herbeigerufen war und ihn wegschaffte.

16
    Als Jurgis sich wieder hochrichtete, blieb er ganz ruhig. Er war erschöpft und noch halb benommen, und außerdem sah er die blauen Uniformen der Polizisten vor sich. Er fuhr in einem Streifenwagen mit sechs Mann Bewachung, die sich allerdings so weit weg von ihm wie möglich hielten – des Düngers wegen. Dann stand er vor dem Schreibtisch des Wachtmeisters, gab Namen und Adresse an und bekam gesagt, daß er wegen tätlicher Beleidigung in Verbindung mit Körperverletzung verhaftet sei. Auf dem Weg zur Zelle bedachte ihn ein bulliger Polizist mit Flüchen, weil er den falschen Korridor entlangsteuerte, und als er nicht schnell genug parierte, bekam er auch noch einen Fußtritt verpaßt. Doch Jurgis hob nicht einmal den Blick; nach zweieinhalb Jahren Packingtown wußte er, was einem bei der Polizei blühen konnte. Sie in ihrer Höhle zu reizen hieß sein Leben aufs Spiel setzen; da würde sich gleich ein halbes Dutzend Uniformierte auf ihn stürzen und ihm das Gesicht zu Brei zermatschen. Es wäre auch nichts Ungewöhnliches, wenn sie ihm bei dem Handgemenge den Schädel einschlügen – und dann Meldung machten, er sei betrunken gewesen und hingestürzt; kein Mensch würde die Wahrheit erfahren oder sich darum scheren.
    So schlug dann hinter Jurgis eine Gittertür zu, und er setzte sich auf die Bank in der Zelle und vergrub das Gesicht in den Händen. Er war allein, hatte den Nachmittag, den Abend und die ganze Nacht für sich.
    Zuerst war er wie ein Raubtier, das seinen Blutdurst gestillt hat; er stand noch unter dem Rausch der Befriedigung. Er hatte es dem Schuft anständig gegeben – zwar nicht so, wie wenn man ihn eine Minute länger gelassen hätte, aber immerhin; ihm brannten noch die Fingerspitzen, so hatte er den Kerl an der Kehle gepackt gehabt. Doch als er dann langsam wieder zu Kräften kam und seine Sinne klarer wurden, begann er, weiter zu sehen, hinaus über seine momentane Genugtuung. Daß er den Lademeister beinahe umgebracht hatte, half Ona kein bißchen – es machte weder das Schreckliche ungeschehen, das ihr angetan worden war, noch löschte es die Erinnerung daran aus; ihr Leben lang würde sie die nicht loswerden. Es half ihr auch nicht, sich und ihr Kind satt zu kriegen; sie verlor todsicher ihre Arbeit, und er – was mit ihm wurde, das wußte allein der Herrgott.
    Die halbe Nacht wanderte er in der Zelle auf und ab und schlug sich mit diesen qualvollen Gedanken herum, und als er müde wurde, legte er sich hin, mußte dann aber zum ersten Mal im Leben feststellen, daß er den Kopf zu voll hatte, um einschlafen zu können. In der Zelle nebenan befand sich ein Betrunkener, der seine Frau verprügelt hatte, und in der übernächsten ein krakeelender Tobsüchtiger. Um Mitternacht ließ man die Obdachlosen, die sich, im kalten Winterwind bibbernd, vor der Tür drängten, in die Wache herein, und sie strömten in den Gang vor den Zellen. Einige streckten sich auf dem nackten Steinfußboden aus und begannen sofort zu schnarchen; andere setzten sich bloß hin, schwatzten und lachten, fluchten und stritten sich. Die Luft stank zwar nach ihrem eigenen Atem, doch ein paar rochen Jurgis trotzdem und wünschten ihm alle Höllenqualen auf den Hals, während er in der äußersten Ecke der Zelle lag und die pochenden

Weitere Kostenlose Bücher