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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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hochzuziehen und ihn anzusehen; er spürte das schwache Zucken ihrer Hände und das Heben und Senken ihres an ihn gepreßten Busens. Es gelang ihr, seine eine Hand zu packen, und sie drückte sie krampfhaft, zog sie an ihr Gesicht und benetzte sie mit ihren Tränen. »Ach, glaub mir doch, glaub mir doch!« schluchzte sie von neuem.
    Er aber brüllte wütend: »Ich denke nicht daran!«
    Doch sie ließ ihn nicht los und rief in ihrer Verzweiflung: »Ach, Jurgis, überleg doch, was du tust! Es richtet uns zugrunde – jawohl, zugrunde! Das darfst du nicht. Nein, tu es nicht, nein! Du darfst einfach nicht! Ich werde noch wahnsinnig ... ich überlebe das nicht ... Nein, Jurgis ... Ich bin schon ganz durcheinander ... Es hat nichts zu bedeuten, und du brauchst es wirklich nicht zu wissen. Wir können trotzdem glücklich sein – können uns trotzdem liebhaben. Ach, bitte, bitte, glaub mir doch!«
    Ihre Worte machten ihn rasend. Er entriß ihr seine Hand und stieß Ona von sich. »Antworte mir! Verdammt noch mal, du sollst antworten!«
    Sie sank zu Boden und verfiel wieder in Weinen; es klang wie das Wehklagen einer Seele im Fegefeuer. Jurgis konnte das nicht ertragen. Er schlug mit der Faust auf den Tisch neben ihm und brüllte wieder los: »Wirst du wohl antworten!«
    Da begann sie zu kreischen, mit einer Stimme, die wie die eines wilden Tieres gellte: »Nein, nein!«
    »Warum nicht?« schrie er.
    »Ich weiß nicht, wie!«
    Er sprang auf, packte sie am Arm, riß sie hoch und sah sie durchdringend an. »Sag mir, wo du die Nacht über warst!« keuchte er. »Los, raus damit!«
    Flüsternd, sich jedes Wort einzeln abringend, sagte sie: »Ich ... war ... in ... einem ... Haus ... in der City ...«
    »In was für einem Haus? Was soll das heißen?«
    Sie versuchte, das Gesicht abzuwenden, doch er hielt ihre Augen mit seinem Blick fest. »Im Haus von Miss Henderson«, kam es leise von ihren Lippen.
    Er begriff nicht gleich. »Im Haus von Miss Henderson?« wiederholte er. Doch dann ging ihm jäh auf, was das bedeutete. Wie von einem Keulenschlag getroffen, schrie er auf und taumelte zurück. An der Wand fand er Halt; er fuhr sich mit der Hand an die Stirn, starrte vor sich hin und flüsterte: »Mein Gott!«
    Im nächsten Augenblick stürzte er sich auf Ona, die zu seinen Füßen lag. Er packte sie an der Kehle und stieß heiser hervor: »Wer hat dich da mit hingenommen? Raus mit der Sprache!«
    Daß sie sich loszuwinden versuchte, machte ihn nur noch wütender; er glaubte, sie tue es aus Angst oder wegen seines schmerzenden Griffs – er erkannte nicht, daß sie sich schrecklich schämte. Dennoch antwortete sie ihm: »Connor.«
    »Connor – wer ist das?«
    »Der Lademeister«, sagte sie, »der Mann, der ...«
    In seiner Erregung drückte er noch fester zu, und erst als sich ihre Augen schlossen, merkte er, daß er dabei war, sie zu erwürgen. Da lockerte er seinen Griff, blieb neben ihr hocken und wartete, bis ihre Lider sich wieder öffneten. Sein Atem schlug ihr heiß ins Gesicht.
    »Sag’s mir«, flüsterte er schließlich. »Alles.«
    Sie lag völlig reglos da, und er mußte die Luft verhalten, um sie verstehen zu können. »Ich ... ich wollte es nicht«, begann sie. »Ich habe versucht ... habe alles versucht ... es nicht zu müssen. Und ich hab’s nur getan ... um uns zu retten. Es war der einzige Ausweg.«
    Wieder war eine Zeitlang nichts weiter zu hören als sein stoßweises Atmen. Ona schloß die Augen, und als sie weitersprach, schlug sie sie nicht auf. »Er sagte zu mir, er würde dafür sorgen, daß ich meine Stelle verliere ... und nicht nur ich, sondern wir alle ... und daß dann keiner von uns hier jemals wieder Arbeit kriegt. Und er meinte das ernst ... er hätte uns ruiniert.«
    Jurgis zitterten die Arme so sehr, daß er sich kaum aufstützen konnte und beim Zuhören immer wieder vornüberkippte. »Wann ... wann hat das angefangen?« fragte er.
    »Schon ziemlich früh ... als ich noch gar nicht lange da war.« Sie sprach wie in Trance. »Sie hatten das alles eingefädelt – Miss Henderson und er. Sie hat mich gehaßt. Und er ... er wollte mich haben. Er sprach mich immer an, draußen auf der Rampe ... machte mir den Hof ... und wurde von Mal zu Mal deutlicher. Er bittete und bettelte ... er tät mich lieben. Erst bot er mir Geld ... dann kam er mit Drohungen: daß er alles über uns weiß und daß er uns verhungern lassen kann. Daß er deinen Aufseher kennt ... und auch den von Marija. Daß er uns zu Tode

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