Der Dschunken Doktor
Chinesen an. Sekunden später riß Betty die Tür zum Arbeitszimmer auf. Sie warf beide Arme hoch.
»Auf Yang ist geschossen worden!« schrie sie hell.
»Ist … ist sie …«, stammelte McLindlay und hielt sich an der Tischkante fest.
»Aber nein!« Betty lachte grell und hysterisch. »Sie machte beim Singen gerade einen Schritt zur Seite. Tot ist der Gitarrist hinter ihr …«
»Es hilft nichts, nun muß die Polizei her!« sagte Tsching und goß für McLindlay ein neues Glas Wodka ein. »So ein verfluchter Irrsinn: Wer schießt denn auf Yang?«
McLindlay nahm das Glas, stürzte den Wodka hinunter und rannte dann aus dem Zimmer auf die Terrasse. Die Masse der Gäste umringte den Toten auf dem Podium, einige Damen hingen in Gartensesseln und rochen an parfümierten Tüchern, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Die uniformierten Diener servierten geistesgegenwärtig neuen Champagner. Yang kniete neben dem toten Gitarristen und hielt dessen Kopf umklammert.
Als McLindlay durch die Menge gebrochen war und vor ihr stand, sah sie zu ihm auf und sagte leise: »Nein … der war es nicht!«
Es war ein Satz, der wie Feuer in ihm zu brennen begann. Tsching legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Die Polizei ist benachrichtigt«, sagte er. »Wie geht es weiter?«
»Werft alle raus!« sagte McLindlay grob. »Alle! Das Fest ist beendet. Sie sollen gehen, diese hohlen Fratzen! Raus mit ihnen!«
Kommissar Ting traf ein, als der Abmarsch der Gäste die Zufahrtsstraße fast verstopfte. Er brachte die ganze Mordkommission mit in der Absicht, nun endlich sich im geheimnisvollen Schloß von McLindlay genau umsehen zu können. So eine Gelegenheit kam nicht wieder.
Mit einer tiefen Verneigung wurde er von dem handlosen Tigerwärter am Tor empfangen. Die Edelstahlhaken auf den Stümpfen glitzerten in dem hundertfachen Licht, das von allen Seiten leuchtete.
»Der Herr erwartet Sie!« sagte der Diener. »Er heißt Sie willkommen.«
Wenn man davon ausgeht, daß der Tod des Gitarristen für Ting eine aussichtsreiche Situation schuf, so muß gesagt werden, daß Dr. Meis Alleingang an Land kein solcher Erfolg beschieden war.
Nachdem er seine zwei Kartons voll Medikamente am Quai in einem Sampan abgeladen hatte, folgte er Liang zu dem Bordell der Madame Yo. Es war ein gutgeführtes Haus, kultiviert eingerichtet, nicht prunkvoll, aber auch nicht durchschnittlich. Es bewies, daß Madame Geschmack besaß und daß ihre Kunden der Gesellschaftsklasse angehörten, die Wert auf eine diskret luxuriöse Umgebung legte.
Dr. Mei lächelte breit, als er an einem Tisch in der Bar Platz nahm und ein Mädchen mit bloßem Oberkörper und einer Busenfestigkeit, die auf eine Silikonunterspritzung hindeutete, nicht nur die Getränkekarte servierte, sondern auch ein Fotoalbum mit wirklich hübschen, nackten und sehenswerten Gespielinnen. Mei klappte das Album zu, dachte dabei an die drei anderen Alben, die er mit Merker durchgesehen hatte, und bestellte einen Ingwerschnaps.
Die Bar war gut besucht, ausschließlich von Chinesen der gehobenen Klasse, von denen sich viele kannten, wie Freunde sprachen und dann einzeln nach hinten verschwanden, wo man über eine teppichbelegte Treppe die oberen Räume erreichen konnte. Die ebenfalls kultiviert ausgestatteten, für alle Arten von Sex und Perversitäten eingerichteten, schalldichten Zimmer mit den versteckten Alarmanlagen, falls ein Gast sich allzusehr aufregen sollte und für die Mädchen gefährlich wurde. Dafür hockten zwei Muskelberge hinter der Bartheke, ehemalige Boxer, die auch die Aufgabe hatten, fremde, unbekannte, neue Kunden zu beobachten.
Dr. Mei war bei seinem Eintritt von den fachmännischen Augen gleich als harmlos eingestuft worden, was noch verstärkt wurde, als er das Mädchenalbum zuklappte, ohne seine Bestellung aufzugeben. Ein alter, geiler Knacker, der nur mal herumgucken will, dachte man. Bevor er stirbt, will er noch sagen können: Haha, ich war auch in einem Puff! So etwas gehört zwar nicht in ein Lokal wie von Madame Yo, aber lassen wir dem Alten das Vergnügen, in der Hose noch ein Zucken zu spüren.
Liang Tschangmao ging unterdessen mit ihrem umgeschnallten Blumenkorb durch die Bar, tastete sich ungehindert nach oben zu den Zimmern und verschwand aus Meis Blicken. Der Ingwerschnaps kam, und Dr. Mei sah das halbnackte Serviermädchen entsetzt an.
»Bin ich ein Floh?« fragte er laut.
»Ich weiß nicht, ob Sie beißen«, antwortete der stramme Busen keck.
»Mit diesem Tropfen
Weitere Kostenlose Bücher