Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
in Bewegung. Milo hatte versucht, außen auf der Kutschbank zu sitzen, doch Rough hatte sein Vorhaben schnell durchschaut.
»Setz dich zwischen die Händler«, hatte er gefaucht. »Ich will nicht, dass du zufällig vom Wagen fällst und das Weite suchst. Weißt du, ich war mal recht gut mit der Armbrust. Wir haben früher immer auf Raben geschossen. Halblinge sind wesentlich größer als Raben, und ihr könnt nicht einmal fliegen.«
»Aber ich war schon mal kurz davor«, entfuhr es Milo. »Sturzflug ist meine Spezialität.«
Milo spürte einen spitzen Gegenstand in seinem Rücken.
»Dann werde ich auf dich eben besonders achtgeben«, flüsterte Rough.
Bis sie die Stadt erreichten, sagte keiner von ihnen mehr ein Wort. Milo zweifelte nicht daran, dass Rough seine Drohung sofort in die Tat umsetzen würde, sobald jemand versuchte, zu fliehen oder Alarm zu schlagen.
Das Osttor von Zargenfels war verschlossen. Ein ungewohnter und unheimlicher Anblick für eine Stadt, in der sonst Tag und Nacht die Straßen voller Menschen waren und so viele von ihnen ein- und ausgingen, dass man die Tore unmöglich bei jedem Passanten öffnen und schließen konnte.
Vier Soldaten in Lederrüstung bewachten das Stadttor, und zwei weitere standen oben auf den Wachtürmen, bereit, Alarm zu schlagen, falls es Ärger geben sollte.
Einer der Soldaten trat vor, als sie näher kamen, und hob den Arm zum Gruß. »Ihr habt Euch die falsche Zeit ausgesucht, um in Zargenfels Geschäfte zu machen!«, rief er ihnen bereits zu, noch bevor die Wagen zum Stehen gekommen waren. »In der Stadt herrscht Tumult. Einige Quergeister haben zur Revolte aufgerufen, und der Pöbel hat sich ihnen angeschlossen.«
Koster stöhnte leise auf, als Roughs Kollege ihm einen Dolch an den Unterleib setzte.
»Wir sind genau am richtigen Ort, und wie es scheint auch genau zur richtigen Zeit gekommen«, entgegnete Koster. »Hier sind sechs Wagenladungen mit Waffen, Rüstungen und allerlei hochwertigem Handwerkszeug. Die Sachen sind für die Regorianer.Nur weil man gegen den Pöbel zieht, heißt das nicht, dass man ein schartiges Schwert in den Kampf führen sollte. Wie Ihr also seht, sind wir genau richtig hier.«
Der Wachsoldat nahm die Hand vom Schwertknauf und ging zum hinteren Teil des Wagens. Er zurrte etwas an der Plane herum und warf einen Blick auf die Ladefläche.
»Ihr habt mehr Männer dabei als üblich«, sagte er, als er zurück zum Kutschbock kam.
»Querköpfe und gemeiner Pöbel sind für Soldaten und Söldner vielleicht keine Gegner, doch wir sind einfache Händler, die über gehärteten Stahl besser reden, als mit ihm umgehen. Ich würde ungern sechs Wagenladungen in die Hände von Männern fallen lassen, die noch nicht einmal ihr Bier selber zahlen können und darauf hoffen, mich mit Gedichten entlohnen zu können.«
Das schien dem Soldaten als Begründung zu reichen, jedenfalls die drei Schritte lang, die er auf das Tor zumachte. Dann drehte er sich plötzlich um und sah Milo misstrauisch an.
»Und welche Aufgabe hat der Halbling in Eurem Trupp?«, fragte er Koster. »Ihr werdet ihn sicher nicht als Leibwächter engagiert haben.«
Bevor Koster antworten konnte, ergriff Milo bereits das Wort: »Ich passe die Rüstungen an, kürze Bänder und Riemen, umwickle Waffenknäufe mit Leder, Leinen oder Sisal. Außerdem stelle ich Federschmuck her, sticke Embleme und hämmere Gravuren, Siegel oder sogar ganze Wappen in Harnische. Und während der Reisen sorge ich für das leibliche Wohl und den Frohsinn.«
Der Soldat zog eine Augenbraue hoch.
»Wollt Ihr eine Kostprobe?«, rief Milo und warf ihm einen der Weizenkekse aus seinem Beutel zu. »Gestern frisch gebacken.«
Der Soldat fing das Gebäckstück mit einer Hand. Drehte es in der Hand, roch daran und knabberte vorsichtig an einer Ecke.
»Hm, lecker«, befand er und schob den Rest hinterher. »Wenn Eure Handwerksarbeit genauso gut ist wie Eure Backkunst, hat er mit Euch einen guten Fang gemacht.«
»Einen zum Preis von keinem«, rief Milo. »Ich werde nach Größe bezahlt.«
Der Soldat lachte. »Öffnet das Tor!«, rief er den Männern auf den Türmen zu.
»Tor auf!«, gaben sie das Kommando lautstark weiter.
Das Klirren von Ketten und das Drehen eines Holzrades waren zu hören. Einen Augenblick später begann sich das Tor zu öffnen, und die Wagen konnten passieren.
In den Straßen von Zargenfels herrschte alles andere als reges Treiben. Zwar waren einige Bürger zu sehen, doch liefen diese
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