Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
nicht vom Pferderücken zu fallen, doch anstatt sich an der breiten Gürtelschnalle festzuhalten, hielt er mit einer Hand den Beutel mit süßen Weizenkeksen, die er aus Ningoths Haus mitgenommen hatte, und mit der anderen versuchte er, sich einen der Kekse in den Mund zu stopfen. Genau genommen, war es schon der vierte, aber die anderen hatten nur zum Teil den Weg in seinen Mund gefunden. Das ewige Auf und Ab machte es fast unmöglich, einen Keks zu essen und ihn sich nicht ins Auge zu rammen oder an der Stirn zerbröseln zu lassen. Was sonst zu Milos Paradedisziplinen zählte, selbst unter widrigen Umständen, wurde auf dem Rücken eines Pferdes zur reinsten Tortur.
»Hinter der Anhöhe machen wir Halt!«, rief Rough seinen Kameraden zu. »Wir werden die Stadt erst einmal beobachten. Ich habe keine Lust, mich in eine Schlacht zu stürzen, die vielleicht schon verloren ist.«
Milo war schleierhaft, wovon er redete. Eine Schlacht? Seit dreihundert Jahren gab es keinen Krieg mehr in Graumark. Das Land hatte nicht viel zu bieten, und um Grenzstreitigkeiten zu verhindern, hatte jedes Volk vor langer Zeit seine Gesandten geschickt, die sich hier niedergelassen hatten. Von einem Krieg hätte man sicherlich bereits gehört, bevor Zargenfels darin verwickelt worden wäre. Außerdem besaß niemand in Graumark ein Heer, das es sich erlauben konnte, sich die anderen Völker zum Feind zu machen.
Die Zwerge waren gierig nach Gold und Edelsteinen, und Milo hätte ihnen auch zugetraut, dafür einen Krieg anzuzetteln. Da aber die einzig lohnenden Schürfstellen und möglichen Silberadern ohnehin schon in Zwergenhand waren, gab es nichts in Graumark, das sie noch interessieren könnte.
Von den Elfen im Graumark konnte man vieles behaupten, nur nicht, dass sie kriegerisch veranlagt waren. Meister Gindawell hatte mal in einem Anflug von Scherzhaftigkeit gesagt, dass Elfen keine Kriege gegen andere Völker führen würden, weil es unter ihrer Würde wäre, sich mit fremden Rassen auf ein körperliches Handgemenge einzulassen. Dies erklärte auch, warum die Elfen zurückgezogen von allen anderen im Hochmoor lebten und es auch nur selten verließen.
Den Menschen wiederum konnte man zweifelsohne einen gewissen Hang zum Kriegerischen nachsagen. Wann immer es etwas Begehrenswertes gab, das jemand anderer besaß, waren sie nicht zimperlich mit dem Blutvergießen. Und selbst wenn es nichts gab, was sie haben wollten, missgönnten sie den anderen den Frieden. Die Menschen in Graumark waren sicherlich nicht anders als anderswo, doch fehlte es ihnen an großen Führern und den Ressourcen, so einen Krieg führen zu können. Zargenfels war bekannt für die vielen Andersdenker und Weltverbesserer. Lord Solwin war längst gezwungen, sein eigenes Heer mit Söldnern aufzufüllen, weil er nicht genügend eigene Krieger fand. Selbst die Stadtwachen litten unter Unterbesetzung. Auf jeden Kampfwilligen kamen Hunderte, die sich lieber mit Schreibfedern bewaffneten.
Blieben nur noch die Halblinge, aber der Gedanke, dass sie einen Krieg angezettelt hätten, war mehr als absurd. In der Geschichte des kleinen Volkes bis zurück zu den Anfängen gab es keinen einzigen Krieg, den sie geführt hatten, ja noch nicht einmal einen, in dem sie explizit erwähnt worden wären.
»Ho-ho, immer langsam mit den jungen Rössern!«, rief ein Händler, der vor den galoppierenden Pferden mit einem Satz an den Wegesrand flüchtete. »Zargenfels rennt schon nicht davon, es schwelt nur etwas vor sich hin.«
Rough und seine Männer waren direkt in eine Händlerkarawane hineingeritten. Je ein halbes Dutzend Wagen hatten die Kaufleute zu beiden Seiten des Weges ins Grün gelenkt, wo ihre Tiere in Ruhe grasen und sich ausruhen konnten.
Rough riss den Arm in die Höhe und befahl seinen Kameraden anzuhalten. Sein Pferd tänzelte auf der Stelle und stieg auf die Hinterbeine. Milo bekam gerade noch rechtzeitig Roughs Schwertgürtel zu packen, um nicht aus dem Sattel zu rutschen.
»Was ist los, warum lagert ihr hier?«, rief Rough einem der Händler zu. »Habt ihr Probleme? Können wir irgendwie helfen?«
Der Händler trat unerschrocken vor und packte das Pferd am Halfter. Mit aufgeblähten Nüstern kam das Tier herunter, tänzelte aber nervös weiter auf der Stelle. Rough tätschelte ihm den Hals, um es zu beruhigen. Der Händler zeigte in Richtung der Stadt. Zargenfels lag noch gute zwei Meilen entfernt. Dunkle Rauchsäulen stiegen über den Dächern im Norden und Osten der
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