Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
es ging über seine Beine.
»Hast du Hunger?«, grunzte Uschma, ohne zu ihm hinüberzusehen oder die Augen zu öffnen.
Bonne zuckte zusammen. Hatte sie etwas gemerkt?
»Nein«, antwortete er kurz. Er fürchtete, wenn er mehr sagen würde, könnte Uschma die Anspannung in seiner Stimme heraushören.
Bonne bewegte vorsichtig die Finger. Er musste laufen und klettern. Die Freiheit war nicht weit entfernt, hundert Fuß vielleicht, und dann noch einmal zehn Fuß aus dem Loch hinaus. Wenn er das schaffte, war er so gut wie gerettet. Oder vielleicht doch nicht? Konnte es sein, dass Xumita Latorinsis mit seinem Goblingefolge doch schon zurück war? Nein, unmöglich. Es war noch keinen Tag her, dass er sich nach Norden aufgemacht hatte. In drei Tagen würde er zurück sein, hatte er gesagt. Aber vielleicht hatte er seine Meinung geändert? Wer konnte schon sagen, was in einemGoblinhirn vor sich ging. Dennoch war es unwahrscheinlich. Das Signal kam aus dem Süden. Der Goblinschamane war Richtung Norden gezogen.
Nein! Es waren Jäger, und sie würden ihn retten, diese Vorstellung hatte sich fest in Bonnes Kopf gebrannt.
Plötzlich ertönte das Signal erneut. Es hallte durch den langen schmalen Tunnel in die Höhle. Seine Retter mussten in unmittelbarer Nähe sein. Wie waren sie so schnell herangekommen? Pferde! Eine Jagdgesellschaft hoch zu Ross mit Hunden – das Bild formte sich in Bonnes Gedanken. Er durfte keine Zeit verlieren, wenn er sie nicht verpassen wollte.
Bonne sprang auf und war mit einem Satz über die bereits vor Stunden erloschene Feuerstelle hinweg. Uschma hatte keine Zeit, zu reagieren. Bonne rannte den Tunnel entlang. Er war gut. Nein, er war in Höchstform. Er hätte dem Wind davonlaufen können. Das Geräusch seiner nackten Füße auf dem schweren feuchten Boden war wie das Platschen eines Gebirgsbaches. Und genau das war das Problem: Seine Schritte hallten durch den Gang wie das Rauschen eines einsamen Baches. Kein Fauchen, kein Brüllen und keine donnernden Schritte hinter ihm.
Bonne erreichte den Ausgang. Er musste nur noch das Loch hinaufkommen. Er warf einen Blick zurück. Uschma stampfte nicht hinter ihm her. Ihr Gesicht zeigte sich nicht im Durchgang von der Höhle zum Tunnel. Sie saß weiterhin auf ihrem Lager, und Bonne hätten wetten können, dass ihre Augen immer noch geschlossen waren.
Konnte man flüchten, wenn einen niemand verfolgte?
Der Mut verließ ihn und reichte der Hoffnung die Hand. Die ganze Flucht war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Er hatte nie eine Chance gehabt, zu entkommen, und Uschma wusste das.
Er war jetzt schon so weit gekommen. Da hatte er es sich auch verdient, zu erfahren, was seinen Plan vereiteln würde. Nach einem tiefen Seufzer packte er den ersten Wurzelstrang und begann denAufstieg aus der Trollhöhle. Von oben war zu hören, wie schweres Gepäck zu Boden geworfen wurde. Trockene Äste knackten, und jemand hackte mit einer Axt oder einer ähnlichen Waffe auf einen Holzscheit ein. Bonne klammerte sich an eine der Wurzeln des umgestürzten Baumes und zog sich hoch. Einen kurzen Moment lang hielt er inne und warf einen Blick auf die Neuankömmlinge, die draußen ihr Lager aufschlugen.
Er fragte sich, wie einfältig man sein durfte, wenn man behütet in einem kleinen Dorf aufgewachsen war und die furchterregendste Bestie, die man kannte, den Namen Nuberts Köter trug. Egal wie die Antwort ausfiel, er hatte das Maß ausgeschöpft. Eine Jagdgesellschaft? Beinahe hätte er angefangen, zu lachen. Ja, es war eine, aber eine, die es nicht auf Rehe und Wildschweine abgesehen hatten, sondern auf Zwerge, Menschen, Elfen und Halblinge. Keine dreißig Fuß vor ihm saß ein riesiger Troll zwischen Farnen und Gestrüpp und kaute an einer seiner Fußkrallen. Um ihn herum schwirrte ein halbes Dutzend Orks und etwa genauso viele Goblins. Jeder von ihnen trug mehrere martialisch aussehende Waffen bei sich und ein Sammelsurium an Rüstungsteilen, die sie dort befestigt hatten, wo sie gerade passten. Bonne fiel ein Goblin auf, der je eine Armschiene einer Plattenrüstung mit Lederbändern an den Beinen befestigt hatte. Ein anderer trug einen Halbhelm, den er mit einem Hammer oder Stein auf seine Kopfgröße angepasst und vorn einen Teil herausgetrennt hatte, damit Augen und Nase freilagen.
Bonne entschied für sich, dass man ruhig einfältig sein durfte. Man musste es nur gut überspielen können. Mutig und unerschrocken, kletterte er aus dem Eingang der
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