Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
herum rot.
»Schließt die Türen!«, rief Gunder den anderen zu. Er selbst hielt immer noch Rubinia im Arm, die noch nicht wieder zu Kräften gekommen war. Jost Grünblatt und Kwimm Bollwerks reagierten sofort. Von beiden Seiten stemmten sie sich gegen die Türflügel. Kwimm schob eilig den Riegel vor.
»Oda ist noch da draußen«, erinnerte Rubinia sie. »Sie ist immer noch am Leben. Wir müssen ihr helfen.«
»Sie soll verrecken!«, kreischte Wende hysterisch. »Das ist alles ihre Schuld.«
Rubinia konnte diese Meinung nicht teilen, obwohl ihr Wendes Verlust ebenfalls naheging. Wenn, dann traf sie genauso viel Schuld wie Oda. Trotzdem durfte man die junge Halblingsfrau nicht einfach den Zwergen überlassen.
»Hilf mir auf«, bat sie Gunder. »Wir dürfen nicht einfach zusehen, wie sie Oda töten. Wir müssen doch irgendetwas unternehmen können.«
»Du kannst kaum laufen. Wie willst du ihr helfen?«
»Das weiß ich noch nicht«, zischte Rubinia ihren Bruder an. »Irgendetwas wird mir schon einfallen.«
»Warum bestehst du darauf, ihr unbedingt beizustehen? Du kennst sie doch kaum.«
»Das ist kein Grund, jemanden sterben zu lassen«, entgegnete Rubinia. »Sie hat dasselbe Recht zu leben wie du oder ich.« Rubinia schaffte es, auf die Beine zu kommen, und humpelte zur Tür.
»Warte, ich komme mit«, sagte Gunder.
»Ich auch«, schloss sich Kwimm an.
»Und ich«, erklärte Jost Grünblatt.
Gunder schob den Riegel zurück.
»Wartet«, rief Kwimm und eilte zu der Reihe von Stühlen, die entlang der Wand standen. Die zusätzlichen Sitzgelegenheiten hatte Gindawell dort aufgestellt, falls bei Taufen oder Hochzeiten nicht alle auf den Bänken Platz hatten. Mit einigen gezieltenFußtritten hatte Kwimm die Stühle zu Kleinholz verarbeitet. Er reichte jedem eine Strebe der Lehne und die Sitzfläche. Dann hielt er beides wie Schild und Schwert hoch.
»Besser als nichts«, verkündete er.
Zusammen verließen sie den Tempel. Dicht aneinandergedrängt und die provisorischen Schilde im Halbkreis um sich herum haltend, marschierten sie auf die beiden Zwerge zu. Die Bärtigen selbst machten keine Anstalten, sich auf das Anrücken der Halblinge vorzubereiten. Sie standen steif, ja, siegessicher da und ließen ihre Waffen am langen Arm baumeln. Der Zwerg mit der Axt hatte Oda seinen Fuß auf den Rücken gesetzt, ihr aber anscheinend sonst kein weiteres Leid zugefügt.
Gunder machte einen Schritt rückwärts, als sich ein Bolzen tief in seinen Schild bohrte. Die Spitze des Geschosses ragte nahezu vier Finger weit auf der Rückseite heraus und berührte fast Gunders Kinn.
»Ein guter Schild«, sagte er mit zittriger Stimme.
Der Schütze musste irgendwo hinter dem Haus der Bollwerks hocken. Kwimm und Jost zogen ihre Schilde in dieser Richtung zusammen.
Jetzt wurde Rubinia klar, wie dumm und aussichtslos ihr Vorhaben war. Planloser Aktionismus war nicht sehr hilfreich, um Zwerge zu töten, und schon gar nicht welche, die bereits tot waren. Gunder hatte Recht: Sie würden bei dem Versuch sterben, einer Diebin, die sie nicht kannten, das Leben zu retten. Was hatte sie nur veranlasst, solch eine Dummheit zu wagen?
»Jost und ich werden sie angreifen«, verriet Kwimm voller Überzeugung. »Während wir sie ablenken, werdet ihr versuchen, die Halblingsfrau zurück in den Tempel zu bringen. Sobald ihr in Sicherheit seid, folgen wir.«
Rubinia verstand nicht, woher dieser Optimismus kam. Bislang hatten sie nichts ausrichten können, außer einem ihrer Gegner den Bart zu versengen. Doch sie wollte jetzt keinen Rückzieher machen. Schließlich war es ihre Idee gewesen, Oda zu helfen.
»Wir werden es schaffen, das spüre ich«, log sie, um auch sich selbst etwas Mut zu machen und zu hören, wie es klang, wenn man es aussprach.
Doch bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnten, flammte plötzlich der abgeerntete und mit rotbraunen Blättern geschmückte Johannisbeerstrauch im Garten der Bollwerks auf. Dunkler Rauch und glühende Blattgerippe stiegen in die Höhe. Von dem brennenden Busch ging eine unnatürliche Hitze aus. Selbst noch fünfzig Schritt entfernt spürte Rubinia auf dem Platz eine wohlige Wärme auf der Haut. Der Busch explodierte förmlich in einem Funkenregen, als eine gedrungene Person, eingehüllt in Flammen und wild um sich schlagend, durch den brennenden Strauch brach. Rubinia erkannte die Gestalt eines Zwerges unter all den Flammen. Kurz darauf trat Othman in Begleitung von Aschgrau auf das mit
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