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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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wahr sein«, knurrte Dorn aus seiner Ecke heraus und steckte sich ein Stück Brot in den Mund, das er aus dem Inneren eines verschimmelten Laibes herausgepult hatte.
    Fast einen ganzen Tag lang hockten Milo, Dorn, Senetha und der Schreiberling nun schon in dem Keller eines Schuhmachers. Dorn hatte gesehen, wie die Regorianer den Handwerksmeister mitgenommen hatten, um ihn einem Verhör zu unterziehen. Da, als sie ihn abführten, keine schimpfende Frau oder weinende Kinder in der Tür des Hauses gestanden hatten, mutmaßte er, dass der Schuhmacher alleinstehend war. Er sollte Recht behalten.
    Milo hatte seinen großen Begleitern von der Begegnung im Keller erzählt. Von diesem Zeitpunkt an war Senetha wie besessen von dem Buch, das Milo ihr gern überließ, da es für ihn so gut wie unmöglich war, alles zu übersetzten. Senetha las jeweils einen Abschnitt und übersetzte ihn dann für die anderen. Ausschweifende Beschreibungen, Aufzählungen von Jahresdaten und Namensregister ließ sie aus. Für Dorns Geschmack immer noch zu viele Details, das ließ er lautstark alle wissen, aber Senetha konnte gar nicht genug kriegen von diesem Buch.
    Milo fragte sie, nachdem sie einen Absatz über die gottlosen Barbaren im Osten übersetzt hatte, warum sie sich in die Geschichte des Buches so hineinsteigerte, und was sie zu finden hoffte. Ihre Antwort war genauso verwirrend, als hätte sie gesagt, das Buch rieche nach Orangenblüten.
    »Golems und Gnome sind an verbotenen Büchern genauso interessiert wie Dorn. Mit dem kleinen Unterschied, dass man Söldner nur bezahlen muss, um ihr Interesse zu wecken. Das funktioniert bei diesen Wesen nicht.«
    Milo wollte nachhaken, doch da studierte sie schon den nächsten Absatz.
    Die ganze Nacht hindurch las sie. Irgendwann hörte sie auf, den anderen zu übersetzen, und machte sich Notizen über alles, was ihr wichtig erschien.
    Milo war es nur recht. Nach den Strapazen in der Bücherei konnte er eine Mütze Schlaf gut gebrauchen.
    Am Morgen berichtete Senetha von dem, was sie gelesen hatte, und was sie erzählte, klang in gleichem Maße abwegig wie befremdend. Der Schreiber des Buches, dessen Name nirgends verzeichnet war, schien der Meinung zu sein, dass alle Götter miteinander verwandt waren. Er ging sogar so weit, zu behaupten, dass sie einer einzigen Familie entstammten und Vater, Mutter, zwei Söhne und eine Tochter waren.
    Weiterhin wurde ein Schöpfungsmythos nacherzählt. Zu Beginn war die Mutter allein. Sie war die Herrin über Leben und Tod. Sie erschuf die Welt und das Leben auf ihr. Doch schnell wurde sie ihrer Schöpfung überdrüssig. Nur zuzusehen, wie neues Leben entstand und wieder verging, reichte ihr nicht. Sie nahm sich einen Gemahl und machte ihn zum Herrn über Krieg und Frieden. Noch bevor sie das erste Mal gebettet wurde, brachen auf der Welt Kriege aus. Die großen Völker fielen über die kleinen Völker her, versklavten oder töteten sie. Das Recht des Stärkeren machte sich breit. Wer sich nicht zu wehren vermochte oder im Schutze einer starken Gemeinschaft stand, dessen Leben war keinen Pfifferling wert.
    Doch was waren Kriege ohne Heldentaten, ohne den Einzelnen, der über sich hinauswuchs, und ohne jemanden, der bereit war, ein Wagnis einzugehen, um das Unmögliche möglich zu machen?
    Die Mutter wünschte sich ein Kind. Ihm wollte sie die Macht über den Verstand geben. Mittels dieses Kindes sollten die Völker dazulernen, sich weiterzuentwickeln, und nicht mehr einfach nur den Starken über den Schwachen stellen. Sie erhoffte sich Einfallsreichtum, List und Tücke.
    Doch auch im Leben eines Gottes gab es noch Überraschungen. Anstatt eines Kindes gebar die Mutter zwei. Zwillinge! Zwei Jungen, die sich glichen wie ein Haar dem anderen. Dem Erstgeborenen überantwortete sie die Weisheit, den Zweitgeborenen machte sie zum Herrn der Verblendung. So teilten sich die Brüder Licht und Schatten derselben göttlichen Macht.
    Alles geschah so, wie die Mutter es sich erhofft hatte. Die verschiedenen Völker entwickelten sich in unterschiedliche Richtungen. Nicht nur Stärke führte mehr zum Erfolg, sondern auch Verhandlungsgeschick, Kreativität und Taktik.
    Die Mutter war mit ihrer Schöpfung fast zufrieden. Nur die wenige, kaum vorhandene Vielfalt in ihrem erschaffenen Leben störte sie. Sie wünschte sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Wesen, die sich anhand ihres Aussehens sowie ihrer Stärken und Schwächen voneinander unterschieden.
    Und so brachte die

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