Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
etwas vom Leib zu halten, das Rubinia nicht ausmachen konnte.
»Verzieht euch, ihr Bestien!«, schrie Kwimm. »Wenn ihr uns zu nahe kommt, werde ich euch mit diesem Knüppel eins überziehen.«
Rubinias erster Gedanke war, dass sich vielleicht doch einige Grünbluter in der Schlucht versteckt hielten und ihnen nun auflauerten, doch dann sah sie das matte graue Fell zwischen dem kargen Gestrüpp. Es war ein Wolf, ein Wolkenzahn, soweit sie erkennen konnte. Ein zweiter lauerte auf der anderen Seite. Diese Wolfsart kam eigentlich nur hoch oben in den Bergen vor. Sie waren größer und schlanker als die Wölfe, die in den Wäldern lebten. Ihre langen Beine gestatteten es ihnen, weite Sprünge zu machen und so Anhöhen leicht zu überwinden. Es wäre kein Problem für sie gewesen, auf den Felsen zu springen und sich einen der Halblinge zu schnappen.
Rubinia handelte, ohne nachzudenken. Sie hechtete auf Gunder zu, riss ihm das Kurzschwert aus der Scheide, kappte die Schlaufe um Wendes Taille und warf das lose Seilende in die Schlucht hinunter, während Gunder und Oda das andere Ende festhielten.
»Ihr bleibt hier«, sagte sie zu den anderen, steckte das Schwert zwischen Hosenbund und Gürtel, schnappte sich das Seil und ließ sich über den Rand des Plateaus hinuntergleiten in die Schlucht.
Rubinia spürte, wie sich das Tau in ihre Hände brannte und an den Beinen scheuerte, aber sie wagte es nicht, die Rutschpartie nach unten zu verlangsamen und Kwimm und Jost einfach ihrem Schicksal zu überlassen.
Als ihre Füße den Boden erreichten, fühlten sich ihre Hände an, als stünden sie in Flammen. Betäubt von dem Schmerz griff sie nach dem Kurzschwert in ihrem Gürtel. Der kühle Schwertgriff in ihrer Hand brachte ein wenig Linderung. Zusätzlich durchströmte sie eine Woge von Mut und Tatendrang. Die gezogene Klinge, Freunde in Gefahr und zwischen ihnen zwei wilde Bestien, die nach Fleisch gierten, das alles glich durchaus dem Leben eines Generals. Sie war dieser General.
Es blieb jedoch keine Zeit, diesen emotional erhebenden Moment gebührend auszukosten, denn die beiden Wolkenzähne hatten Rubinia bereits entdeckt und hetzten zähnefletschend und knurrend auf sie zu. Rubinia hielt das Schwert in beiden Händen und streckte die Klinge ihren Angreifern entgegen.
Wölfe waren es gewohnt, ihre Beute zu jagen, und nicht, von ihr bedroht zu werden. In respektvollem Abstand kamen sie geifernd und böse knurrend zum Stehen. Jedoch war Rubinia nicht abschreckend genug, um sich die Tiere so weit vom Hals zu halten, dass ein kraftvoller Sprung nicht gereicht hätte, dass die Wölfe über sie herfielen.
Die beiden Wolkenzähne waren ausgemergelt, das Fell stumpf und die Pfoten zerschunden und blutig. Sie schienen zu spüren,dass dies die letzte Chance für sie war, etwas erjagen und fressen zu können. In ein, zwei Tagen würden sie zu erschöpft sein und nur noch schwach irgendwo herumliegen und darauf warten, dass ihr Ende kam. Sie zu verscheuchen war also keine Option. Blieb nur noch, sich ihnen zu stellen.
Die beiden Wölfe waren sich uneinig. Normalerweise umrundeten sie ihre Beute langsam und warteten darauf, im richtigen Moment loszuspringen und zuzuschnappen. Den finalen Biss in die Kehle durfte jedoch nur der Rudelführer machen. Erst wenn er die Mahlzeit erlegt und sich satt gefressen hatte, durften die rangniederen Tiere fressen. Diese beiden Tiere waren Weibchen und nicht dazu bereit, sich der Nebenbuhlerin unterzuordnen. Abwechselnd knurrten sie Rubinia und dann wieder einander an. Keine der Wölfinnen wollte sich von hinten an die Halblingsfrau anpirschen und so der anderen den finalen Kehlenbiss zugestehen.
Rubinia lauerte auf den richtigen Moment, genau wie die beiden Wolkenzähne, nur brauchte sie sich nicht unterzuordnen.
Plötzlich schnappte eine der Wölfinnen nach dem Hinterlauf ihrer Rudelgefährtin, um sich so das Anrecht auf den Leckerbissen zu sichern. Das andere Weibchen ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie sich die Beute nicht vor der Schnauze wegschnappen lassen wollte, und antwortete, indem sie ihrer Rivalin die Fangzähne in die Seite bohrte. Plötzlich fielen die beiden übereinander her und versuchten, sich gegenseitig die Kehlen aufzureißen.
Rubinia wartete ab, bis eine der Wölfinnen die Oberhand gewann. Das kleinere Weibchen lag auf dem Rücken, das größere über ihr. Doch anstatt sich zu ergeben, schnappte die unterlegene Wölfin nach der Kehle der anderen und bekam sie
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