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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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Glück finden wir noch ein paar alte Schmuckstücke, an die sich niemand mehr erinnert, wenn wir versuchen, sie zu Geld zu machen. Hast du die Eisenstange?«
    Dorn zog ein zwei Fuß langes Brecheisen unter seinem zerlumpten Umhang hervor und drehte es in seinen Händen wie einen Tambourstab.
    »Willst du es nicht zuerst mit einem Zauber versuchen?«, fragte er unsicher. »Dieses Ding wird ordentlich Krach machen.«
    »Würde ich ja gern, aber hier ist kein Schloss, und durch Wände gehen gehört nicht zu meinem Zauberrepertoire«, erwiderte Senetha und fügte halblaut hinzu: »Ebenso wenig wie Blitze hervorrufen, unsichtbar machen, Gedanken lesen und so weiter.«
    Dorn trat vor, schob Senetha beiseite und positionierte sich vor dem Eingang, der keiner mehr war. Nachdem er Maß genommen und tief Luft geholt hatte, ramme er die Spitze des Brecheisens mit ganzer Kraft in den schmalen Spalt getrockneten Lehms zwischen den Steinwänden. Dieses Prozedere wiederholte er einige Male, bis sich ein ansehnlicher Riss gebildet hatte. Dann steckte er das Eisen hinein, setzte den Fuß gegen die Wand und begann zu hebeln. Knirschend bewegten sich die massiven Steinwände auseinander. Mit jedem Ruck wurde der Spalt einen Finger breiter.
    Senetha schaute sich währenddessen auf dem Friedhof um, ob ihre wenig professionelle Vorgehensweise vielleicht doch neugierige Stadtwachen anlockte.
    Dorn hatte es nach wenigen Minuten geschafft, den Eingang so weit freizulegen, dass man sich hindurchzwängen konnte.
    »Und jetzt?«, grunzte er, nachdem er einen Blick in das finstere Gewölbe riskiert hatte.
    Senetha zwängte sich an ihm vorbei. »Jetzt ist meine große Stunde. Sieh zu und staune. Lucere durabilis.«
    Im Zentrum der Gruft formte sich ein kleiner glühender Punkt, der stetig zu wachsen begann, und der genau wie die Miniaturnachbildung eines Sonnenaufganges wirkte. Innerhalb weniger Herzschläge hatte er das ganze Gewölbe erhellt.
    »Eine Laterne hätte es auch getan«, brummte Dorn.
    »Hast du eine? Nein! Also hör auf, rumzujammern«, zische Senetha.
    Sie strich ihm liebevoll über den kahl geschorenen Kopf und zeichnete mit dem Finger die ornamentartige Tätowierung nach, die über seine Stirn und um das Auge herum verlief.
    Das Innere des Gewölbes war so, wie man sich eine Gruft vorstellte   – jedenfalls die von weniger wohlhabenden Bürgern. Der schmale Mittelgang wurde zu beiden Seiten von je drei übereinanderliegenden Reihen Ruhestätten mit jeweils sechs Gruftnischen gesäumt. Jede von ihnen war fein säuberlich mit behauenen Quadern und Lehm verschlossen.
    »Das ist die richtige Gruft«, sagte Senetha. »Siehst du, wie sie die einzelnen Nischen geschlossen haben? Heutzutage machen sie es einfach mit gebrannten Ziegeln oder sogar mit Holz. Diese hier sind alt, sehr alt.«
    »Reicht es nicht vollkommen, wenn sie tot sind, müssen sie auch noch lange tot sein?«
    »Ich habe meinen Vater und meine Mutter in solchen Grabkammern beerdigen lassen«, erklärte Senetha. »Glaube mir, wir waren keine armen Leute. Mein Vater hatte einen gut gehenden Krämerladen, und meine Mutter kam aus reichem Hause. Soll ich dir sagen, was wir ihnen als Grabbeilagen mit auf den Weg gegeben haben? Ich werde es dir sagen. Nichts, nichts außer einem weißen Totenhemd.«
    Senetha wartete auf irgendeine Reaktion ihres Begleiters. Sie wusste, dass Dorn nicht der Schnellste war, wenn es um Logik ging. Doch Dorn schien über etwas nachzugrübeln.
    »Was ist los?«, fragte sie, als sich der Ausdruck auf dem Gesicht des Kriegers nach einer Weile immer noch nicht geändert hatte.
    »Deine Eltern mussten sich ein Hemd teilen?«
    »Nein, natürlich hat jeder eines bekommen«, antwortete sie gereizt. »Ich wollte damit nur sagen, dass der Totenkult schon lange nicht mehr die Bedeutung hat wie früher einmal.«
    »Woher weißt du, dass es früher anders war?«, fragte Dorn.
    »Kennst du den Begriff ›Grabräuber‹?«, stellte Senetha gelangweilt die Gegenfrage.
    Dorn nickte.
    »Glaube mir, du würdest ihn nicht kennen, wenn sie früher nichts in die Grabstätten gelegt hätten. Keine Grabbeigaben, keine Grabräuber.«
    Dorn ließ es auf sich beruhen. Es war schon zu spät, um sich solche tiefschürfenden Gedanken zu machen.
    »Soll ich sie aufmachen?«, fragte er, um sich aus der Situation zu retten.
    Senetha nickte. »Fang an!«
    Dorn machte sich sofort ans Werk. Mit der Brechstange in einer Hand schlug er auf den ersten Gruftdeckel ein. Die dünne

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