Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Weg zwischen Eichenblattstadt und Zargenfels, aber in jedem Fall auf dem sichersten. Othman hatte dafür gesorgt, dass Reisende unbehelligt von wilden Tieren oder schlimmeren Wesen den Düsterkrallenwald durchqueren konnten. Dies waren jedenfalls seine Worte, und die seltenen, meist selbst verschuldeten Vorfälle gaben ihmRecht. Othman war ein komischer Kauz, fand Milo. Der Zauberer stellte das Wissen über alle anderen Belange des Lebens, selbst über Frühstück oder Mittagessen, was ihn für einen Halbling noch merkwürdiger erscheinen ließ. Abgesehen davon war Othman aber ein überaus freundlicher und hilfsbereiter, wenn auch leicht verwirrt scheinender Mann. Milo hatte noch nicht viele Zauberer kennengelernt, aber aus Erzählungen wusste er, dass Othman kein Einzelfall, sondern eher der typische Vertreter seiner Zunft war. Alles in allem schien er so etwas wie die gute Seele des Waldes zu sein.
»Tante Rubinia hat schon den Ofen für uns angemacht, und wenn mich meine Augen nicht täuschen, ist sie gerade an den Mittagsvorbereitungen.«
Milo zeigte in westliche Richtung auf eine kleine Anhöhe, die von einem dichten Ring aus Nadelbäumen umgeben war. Zwischen ihnen hindurch stach die Spitze des Krähenturms, aus dessen zwei Schornsteinen dünne Rauchsäulen aufstiegen, die vom Wind sogleich auseinandergerissen und fortgetragen wurden.
»Wenn wir uns beeilen, können wir vor dem Essen noch unsere Kleidung zum Trocknen aufhängen. Ich muss endlich raus aus diesen Klamotten«, stöhnte Bonne.
»Mir würde es schon reichen, diesen dämlichen Rucksack endlich von den Schultern nehmen zu können.«
»Vielleicht hat sie warmen Apfelstrudel mit Blaubeerkompott«, träumte Bonne halblaut vor sich hin.
»Ja, oder Hirsekuchen mit geschmolzener Butter-Zimt-Soße«, spann Milo den Traum weiter.
Ohne dass sie es merkten, wurden ihre Schritte schneller und länger. Durch die Gedanken an eine warme Küche und eine von Tante Rubinias Leibspeisen konnten ihnen Wind und Regen kaum noch etwas anhaben. Den Rest des Weges, zwischen den dichten Tannen hindurch und den Hügel hinauf, rannten die beiden. Völlig außer Atem und triefend vor Nässe, erreichten sie die Tür zum Krähenturm.
Othman hatte den Türklopfer in drei Fuß Höhe anbringen lassen, angeblich um den Halblingen zu zeigen, dass sie jeder Zeit willkommen waren. Rubinia hatte ihnen später erzählt, dass der Zauberer es in Wirklichkeit leid gewesen war, ständig die Fußabdrücke der Tunnelgnome wegmachen zu lassen, wenn sie von einer seiner Erkundungstouren zurückgekommen waren und mit ihren dreckigen Füßen gegen die Tür getreten hatten, um auf sich aufmerksam zu machen.
Milo nahm den Messingklopfer, der in Form eines Stößels geformt war, und schlug ihn drei Mal kräftig gegen die Tür. Gleich darauf hörte er das Platschen von kleinen nackten Füßen, die hinter der Tür hin und her liefen. Manchmal waren sie direkt davor, manchmal ein Stück entfernt.
»Hallo, ist da jemand?«, rief Milo. »Hier sind Milo und Bonne Blaubeers aus Eichenblattstadt. Wir möchten unsere Tante Rubinia besuchen.«
Milo hoffte, den dienstbaren Geist auf der anderen Seite der Tür damit etwas beruhigen zu können und seine offensichtlichen Zweifel zu zerstreuen.
»Ein Tunnelgnom«, flüsterte er seinem Bruder zu, der daraufhin die Augen verdrehte und mit den Schultern zuckte.
Milo hatte sich gerade dazu durchgerungen, ein weiteres Mal zu klopfen, als sich die Tür einen Spalt breit öffnete. Dahinter zeigte sich das Gesicht eines Tunnelgnoms.
»Kommt morgen wieder«, quakte er. »Heute passt es nicht.«
Bevor er die Tür wieder zuschlagen konnte, hatte Milo bereits seinen Fuß dazwischengestellt.
»Wir haben einen langen Weg hinter uns, sind klitschnass und haben Hunger. Außerdem werden wir erwartet«, log Milo. »Wenn du denkst, du könntest uns einfach wieder wegschicken, hast du dich geschnitten.«
Der Tunnelgnom wirkte durch die vielen Informationen einen Moment lang irritiert. Hektisch drehte er sich im Kreis und beäugte dabei seine Arme und Beine.
Milo nutzte die Gunst der Stunde und zwängte sich an dem Gnom vorbei ins Foyer des Turmes. Bonne war schon fast hinterher, da packte der Gnom ihn am Arm.
»Ihr sollt wieder weggehen!«, schrie er empört. »Meister Othman kann euch heute nicht empfangen. Er ist mitten in einem schwierigen Experiment.«
Bonne stieß den kleinen Kerl unsanft von sich, der daraufhin ins Stolpern kam und stürzte.
»Wir werden ganz
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