Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Schemeln. Die Teller hatten sie abgestellt, um die Decken, in die sie gehüllt waren, nicht zu verlieren. Nichts konnte peinlicher sein, als dem Hausherrn in Unterwäsche entgegenzutreten.
»Guten Tag, Meister Othman«, krächzten sie im Chor.
»Hallo, ihr beiden«, gab der Zauberer freundlich zurück. »Na, habt ihr schon wieder etwas angestellt?«
Wieder einmal wurde den beiden Halblingen schmerzlich bewusst, dass die Geschichten ihrer ständigen Eskapaden schon weit über die Grenzen von Eichenblattstadt hinausgetragen worden waren.
»Ich will nicht hoffen, dass der Zustand eurer Tante etwas damit zu tun hat, sonst müsste ich euch ebenfalls in Tunnelgnome verwandeln, wie die vielen anderen Händler und Reisende, die sich hier im Krähenturm nicht zu benehmen wussten.«
Milo und Bonne waren noch mit Schlucken beschäftigt, als Othman und Rubinia in Gelächter ausbrachen.
»Wie ist das passiert, meine Liebe?«, erkundigte sich der Zauberer. »Das sieht nicht gut aus, vielleicht sollten wir einen Heiler kommen lassen.«
»Nicht nötig«, erwiderte Rubinia. »Eine kleine Auseinandersetzung mit drei Reißern. Ich konnte sie aber in die Flucht schlagen.«
»Habt ihr die Kristalle ausgetauscht, wie ich es gesagt habe?«
Rubinia nickte. »Wie jeden Monat«, beteuerte sie.
»Das ist gut«, sagte Othman und biss in Gedanken versunken von dem Stück Strudel ab, das ihm gereicht worden war.
Plötzlich wandte sich Othman wieder den beiden Brüdern zu: »Ihr wolltet gerade erzählen, was euch zu uns geführt hat. Gibt es etwas Neues in Eichenblattstadt? Hat Vanilla Grünblatt vielleicht einen tapferen Bräutigam gefunden und möchte uns zu der Hochzeit einladen?«
Die gegenseitige Abneigung zwischen der Tuchhändlerin und dem Magier war ein offenes Geheimnis in Eichenblattstadt. Vanilla mochte die wenigsten Menschen, aber wenn diese sich dannnoch zusätzlich in Mysterien hüllten, wie es die meisten Magier taten, um ihrer Neugier zu entgehen, wurde dieses Gefühl noch verstärkt. Warum aber Meister Othman sie nicht mochte, konnte Milo nur vermuten; wahrscheinlich lag es an ihrer zänkischen, von Neugier geprägten und in Überheblichkeit getränkten Art, andere zu nerven. Othman hatte seine Abneigung nie offen gezeigt, doch seine reservierte Art und die versteckten Andeutungen sprachen Bände und passten so gar nicht zu dem sonst so liebenswürdigen alten Magier.
»Vanilla Grünblatt ist tot«, sprudelte es aus Milo heraus.
Während Othman und Rubinia ihn noch fassungslos anstarrten, fügte er hinzu: »Genauso wie Meister Gindawell und die anderen Mitglieder des Rates von Eichenblattstadt.«
Einen Moment herrschte absolute Stille, und die Zeit schien stehen geblieben zu sein.
»Was ist passiert?«, fragte der Magier, dem selbst noch diese drei Worte im Halse stecken zu bleiben schienen.
Milo sah, wie der alte Zauberer damit zu kämpfen hatte, seine Haltung zu wahren. Jahrzehnte der Würde und die ständige Darstellung von Autorität hatten ihre Spuren hinterlassen, da bedurfte es schon eines wirklichen Schicksalsschlages, um solch einen Mann die Fassung verlieren zu lassen.
Rubinia verzog keine einzige Miene. Sie starrte einfach durch Milo hindurch. Erst als sie sich auf einen der Schemel sacken ließ, begannen Milo und Bonne zu erzählen, was im Ratssaal von Eichenblattstadt vorgefallen war. Einen Moment lang überlegte Milo, ob er die Sache mit dem Kirschkern nicht lieber verschweigen sollte, doch da kam ihm bereist Bonne zuvor. Auch die letzten Worte von Meister Gindawell zu seinem Schützling erwähnte Milo und beteuerte, dass ihn nichts davon abbringen werde, auf diese Reise zu gehen.
Als die beiden mit ihrer Erzählung geendet hatten, setzte erneutes Schweigen ein. Othman war es, der es schließlich brach.
»Ich werde nach Eichenblattstadt reisen und mir selbst ein Bildmachen«, sagte er kühl. »Ihr beide solltet währenddessen lieber von der Bildfläche verschwinden. So leid es mir tut, ihr müsst von hier fort. Ich werde versuchen, ein gutes Wort für euch einzulegen, aber sollte euer Vater und die Dorfgemeinschaft entscheiden, dass ihr euch für die Vorfälle zu verantworten habt, werde ich mich ihnen nicht entgegenstellen. Und auch eure Tante wird euch nicht helfen können. Wenn wir nicht wissen, wo ihr euch aufhaltet, werden wir nicht gezwungen sein, deswegen zu lügen. Ich weiß, ihr seid keine schlechten Kerle, ihr habt es nie böse gemeint, doch diesmal könnten euch eure Streiche zum
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