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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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ebenso für ihren Fleiß wie für ihre ausschweifenden Feste bekannt. Zwerge und Halblinge waren immer gut Freund gewesen, nicht nur in Graumark, sondern in allen Königreichen. Dies mochte vielleicht daran liegen, dass sie die Welt aus einer ähnlichen Perspektive betrachteten, oder daran, dass sie beide Völker waren, die gern tranken und sangen. Doch Aschgraus geringschätziges ›nur‹ traf in keinster Weise auf diese Zwerge zu.
    Obwohl sie keinen von ihnen richtig erkennen konnte, ging von diesem Tross etwas Unheimliches, etwas Bedrohliches aus. Zwerge brauchten keine Fackeln, um im Dunkeln zu reisen, das wusste Rubinia. Sie liefen auch nicht immer fröhlich singend durch die Gegend, und es war nichts Ungewöhnliches, dass sie in den Düsterkrallenwald kamen, obwohl sie selten so weit in den Süden vordrangen. Aber dennoch lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. Diese Zwerge waren kein gewöhnlicher Trupp, der ausgezogen war, um Bäume zu fällen, Balken und Stämme zu holen, die sie für ihren Stollenbau brauchten. Diese hier hatten eine dunkle Mission, das spürte sie. Und sie zweifelte keinen Moment daran, dass es besser war, nicht von ihnen gesehen zu werden.
    Rubinia machte sich klein auf dem Wagen, noch kleiner, als sie ohnehin schon war. Aschgrau saß wie versteinert auf der Karrenbank, doch er schien sich nicht zu ängstigen. Er beobachtete die vorbeiziehenden Wagen, als wären sie ein Schwarm Gänse amHimmel, die ihm nichts anhaben konnten, die aber für ihn ebenso in unerreichbarer Ferne waren.
    Die Karawane aus Karren, Zug- und Lasttieren schien sich endlos dahinzuziehen. Es dauerte knapp eine halbe Stunde, bis der letzte Wagen an ihnen vorübergezogen war.
    Rubinia schnaubte erleichtert aus, als das grollende Geräusch langsam in ein leises Flüstern überging.
    »Halt!«, brüllte es da plötzlich durch die Dunkelheit des Waldes, und einen Herzschlag später verstummten alle Geräusche.
    Rubinia hielt vor Schreck den Atem an.
    »Holt sie zurück, tot oder lebendig, das ist mir gleich, doch sie darf nicht entkommen!« Die Stimme war dunkel und heiser und eindeutig zwergischen Ursprungs.
    Erst jetzt fiel Rubinia mit Schrecken auf, wie nah der Tross an ihnen vorübergezogen war. Die schwarzen Silhouetten hatten zwischen all den Bäumen in der Nacht so weit entfernt gewirkt wie die Mauern einer Stadt am Horizont. Der barsche Befehl, der klar und eisig an ihr Ohr drang, rückte alles in ein anderes Licht. Sie waren immer noch zu nah, um sich unentdeckt davonzustehlen. Wenn sie jetzt nach vorne auf die Bank kletterte und das Maultier antrieb, würden die Zwerge sie entdecken. Entweder würden sie den holpernden Karren hören oder das Maultier, wie es widerwillig schnaubte, wenn man versuchte, es anzutreiben. Ihr blieb also nur zu hoffen, dass die Zwerge schnell fanden, wonach sie suchten, und weiterzogen.
    Starr vor Angst hockte Rubinia auf der Ladefläche des Karrens und spähte hinaus in die Dunkelheit des Waldes.
    Es sind Zwerge , versuchte sie sich zu beruhigen. Dieselben, mit denen wir seit Hunderten von Jahren als Nachbarn zusammenleben. Dieselben, mit denen wir Jahr ein, Jahr aus das große Kürbisfest zusammen feiern, Lieder singen, trinken und lachen. Es sind dieselben, die mit ihren Karren durch die Dörfer ziehen und den staunenden Kindern Citrine, Tigeraugen, Rosenquarze und Amethysten schenken. Sie sehen nur ruppig aus, aber tief in ihnen schlummert ein weiches Herz.
    Die Stimme in ihr verstummte, denn sie wusste, dass diese Zwerge nicht die aus ihren Erinnerungen waren. Diese würden sie töten, wenn sie sie fanden.
    »Dort!«, grollte eine Stimme aus der Dunkelheit.
    Im nächsten Moment sah Rubinia einen hellen Schimmer zwischen den Zweigen eines Busches. Jemand kauerte dort im Dickicht und versuchte, unentdeckt zu bleiben. Einen Atemzug später sprang die Gestalt auf und hetzte auf sie zu.
    Rubinia wollte aufschreien, doch ihre Kiefer weigerten sich, auch nur einen Spalt zwischen ihren Zähnen zu öffnen. Angsterfüllt starrte sie auf die kleine Person, die im Zickzack auf ihren Karren zurannte. Es war eindeutig kein Zwerg. Die Bewegungen waren zu flink und zu wenig kraftvoll.
    Bevor Rubinia entscheiden konnte, was sie tun sollten, war die Gestalt bereits heran und sprang zu ihr auf den Wagen. Noch immer konnte Rubinia nicht schreien, stattdessen saß sie wie gelähmt da und stierte auf den nächtlichen Besucher, der in braunen Hosen, einem hellgrünen ärmellosen Cape und einem

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