Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
freundschaftlich die in zwei fein säuberlich getrennten Häufchen hin.
»Such dir einen aus«, sagte er.
Nizzak lächelte.
»Du kannst sie beide haben. Ich mache mir nicht viel aus zerstampften Körnern mit Wasser, die ihr dann über dem Feuer geröstet habt wie ein erlegtes Tier. Ich werde mir ein paar leckere Kröten und Eidechsen jagen.«
»Die brauchst du dann auch nicht mit mir zu teilen«, sagte Milo und würgte fast bei dem Gedanken.
Als sie zwei Stunden später vor sich den Blutfels ausmachten, hätte Milo Nizzak um den Hals fallen können, ließ es aber bleiben, weil er befürchtete, der Grünbluter könnte es verkehrt verstehen. So fremd und düster dieses Mahnmal aus aufgetürmten Steinen auch aussah, jetzt und hier erschien es ihm wie die heimische Küche seiner Mutter.
»Na, was habe ich gesagt?«, protzte Nizzak, als sie näher herankamen. »In zwei oder drei Stunden bist du auf der Straße nach Zargenfels.«
»Ich gebe zu, du bist der bessere Fährtensucher«, gestand Milo, »aber trotzdem bin ich froh, dass sich unsere Wege bald trennen.«
»Wie kommst du denn auf diesen Humbug?«, lachte Nizzakhämisch. »Der Fluch des Schamanen wird uns schon bald wieder zusammenbringen.«
»Fang nicht damit an«, stöhnte Milo. »Ich will nicht behaupten, dass euer Schamane keine Zauberkräfte besitzt, aber ich bin der Meinung, dass sie nur bei Grünblutern wirken. Ähnliches gilt für diese düstere Prophezeiung vom Zweitgeborenen und dem Ende der Welt. Es gibt viele solche Geschichten, und bei jedem Volk sind sie anders. Aber keine von ihnen ist jemals eingetreten.«
Dennoch blieb in Milo ein Zweifel zurück, dass es tatsächlich eine düstere Zukunft gab. Immerhin hatte sich Meister Gindawell, der sonst so glaubensstark war, seit Neuestem auch mit heidnischen Thesen beschäftigt.
Nizzak funkelte Milo mit bösen Augen an.
»Das heißt, du wirst deine Aufgabe nicht erfüllen, deinen Bruder einfach im Stich lassen und dein Versprechen nicht einlösen?«
»Nein, nein«, beschwichtigte Milo den Goblin schnell. »Das werde ich natürlich nicht tun. Ich habe es schließlich geschworen. Aber ich glaube nicht, dass das Ergebnis das erbringen wird, was dein Schamane sich darunter vorstellt. Ich meine, das Blut des Zweitgeborenen, warum hat mein Volk davon noch nie gehört? Wenn es so etwas gibt, dann wüssten doch sicher alle davon.«
»Du wusstest auch nichts von der weißen Mehlhexe«, wandte Nizzak ein.
Es war unsinnig, darüber mit einem Goblin zu diskutieren, befand Milo. Jedes weitere Wort würde ihn nur misstrauisch machen. Sein Plan war es, sich eine Nacht außerhalb des Waldes auszuruhen und dann zum Krähenturm zurückzumarschieren, um Meister Othman von der Gefangennahme seines Bruders zu berichten. Othman würde wissen, was zu tun ist, und ihm helfen, Bonne zu befreien, wenn der zu dem Zeitpunkt nicht längst selbst geflüchtet war.
»Irgendwie nicht besonders beeindruckend für das Grabmal eines Königs«, sagte Nizzak plötzlich. »Sieht aus wie ein Haufen Steine.«
»Es ist ein Haufen Steine«, bestätigte Milo. »Wahrscheinlich wollte man einem König, der nur Krieg und Armut über das Land gebracht hat, kein Denkmal setzen. Die wenigen Aufzeichnungen, die es über König Thyrus gibt, sagen alle einheitlich aus, dass er ein sehr aufbrausender und starrsinniger Mann war. Er soll damals während der Gespräche mit den Unterhändlern der anderen Königreiche, die versucht haben, ihn zur Vernunft zu bringen, mit einem Bratenmesser sechs der Gesandten getötet haben. Es soll ein richtiges …« – Milo hielt kurz inne und überlegte – »… Gemetzel gewesen sein.« Genau wie in Eichenblattstadt , überlegte er, sagte es aber nicht laut. »Dort ist eine Gedenktafel. Soll ich sie dir vorlesen.«
Er legte seinen Rucksack ab und kletterte auf den Haufen Geröll. Das Mahnmal sah aus, als wenn ein Riese einen Berg Felsbrocken in die Landschaft gekippt hätte, um damit Stein-ins-Loch zu spielen. Doch nach gut dreihundert Jahren trog das Bild der Pyramide. Moose und Flechten hatten sich überall festgesetzt, und mit der Zeit waren Sand, Blätter und kleine Äste in die Fugen geraten und gaben dem Ganzen Stabilität.
Milo hatte es im Nu nach oben geschafft. Wenn es ums Klettern ging, machte ihm keiner etwas vor. Jeder Schritt, jeder Handgriff saß. Auch schwierige Passagen meisterte er, ohne ins Stocken zu kommen. Jetzt konnte er dem kleinen Grünbluter endlich einmal zeigen, dass auch in
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