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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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Schreiberling oder Kartograph. Er hielt kraftlos einen Dolch in den Händen. Blut färbte sein Hemd im Lungenbereich. Rote Bläschen quollen aus einem kreisrunden Loch im Stoff. Dorn versuchte, ihn aufzufangen, bevor er stürzte, doch dem schwer verletzten Mann versagten die Beine. Dorn stieß mit ihm zusammen, und der Schreiberling rammte im seinen Dolch durch den Oberschenkel, entweder aus Versehen oder weil er ihn für einen Feind hielt. Gemeinsam stürzten sie zu Boden. Halb unter dem Sterbenden begraben, versuchte Dorn, wieder auf die Beine zu kommen.
    Immer noch standen sechs der Regorianer, während gut zwei Dutzend Rebellen sie umkreist hatten. Dorn lag mitten zwischen den Glaubenskriegern. Wenn er sich jetzt erhob, würde er ihr nächstes Opfer werden. Immer noch stand es vier zu eins, doch der Kampfwille seiner Mitstreiter schien nachgelassen zu haben. Vielleicht waren sie nicht mehr bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, oder sie waren erschöpft.
    Dorn bekam seinen Schwertarm frei. Für einen Moment lag er reglos am Boden, den Griff seiner Waffe fest umklammert. Er wartete darauf, dass einer der Regorianer in seine Reichweite kam. Die beiden Krieger, die den Müllerjungen niedergemacht hatten, kamen   – umeinander kreisend und nach den Speeren und Piken der Männer schlagend, die sie umzingelt hatten   – auf ihn zu. Keiner der beiden nahm Notiz von ihm. Als sie einem Speerhieb auswichen und beinahe auf ihn getreten wären, schlug Dorn zu. Er trennte den Fuß des einen mit einem gewaltigen Schlag, der Dorns Arm beinahe auskugeln ließ, ab. Die Klinge schnitt durch die dünnen Lederstiefel ebenso wie durch Fleisch und Knochen. Der Mann stürzte und riss seinen Kollegen mit sich. Gemeinsam brachen sie vor dem Ring aus Angreifern zusammen. Fast gleichzeitig stießen vier Männer mit Piken, Schwertern und Speeren auf die beiden ein.
    In jeder Schlacht kam dieser Moment. In Söldnerkreisen nannten sie in Ausfegen. Einen Augenblick zuvor bangte noch jeder um sein Leben. Mann kämpfte gegen Mann. Niemandes Schicksal war sicher, der Ausgang der Schlacht noch offen. Dann ging plötzlich jemand zu Boden, starb, eine Lücke tat sich auf, eine Verteidigungslinie brach zusammen, und ein jeder wollte es nur noch zu Ende bringen. Der Sieg war zum Greifen nahe, und die Verlierer wussten um ihren Tod.
    Die Rebellen fielen über die letzten Regorianer her wie Ameisen über eine sterbende Wespe. Mit Knüppeln, Äxten und Messern schlugen, hieben oder stachen sie auf die Männer ein. Jeder schien sich an dem Gemetzel beteiligen zu wollen, und selbst die Toten wurden noch mit Hieben und Schlägen bedacht. Die Euphorie des Sieges kannte kein Erbarmen.
    Dorn stieß den toten Körper, unter dem er begraben lag, von sich. Er kam auf die Beine. Blut füllte seinen Stiefel. Er taumelte und war gezwungen, sich auf ein Knie niederzulassen, um nicht zu stürzen. Einer seiner Mitstreiter stürmte auf ihn zu, eine Pike hoch erhoben und bereit, ihn niederzustrecken. Der Mann bemerkte seinen Fehler noch gerade rechtzeitig, um nicht in Dorns Schwert zu laufen.
    »Ihr seid es«, keuchte er. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn. Blut sickerte daraus hervor und verschleierte seine Sicht. »Wir haben gewonnen!«, brüllte er unerwartet los. »Wir haben sie fertiggemacht, diese Schweine. Wir haben gewonnen.«
    Dorn blickte sich um, die Schwertspitze immer noch auf seinen Mitstreiter gerichtet. Das Pflaster der Straße hatte sich gefüllt mit toten Körpern. Zähflüssig bahnte sich das Blut der Gefallenen seinen Weg in den Fugen der Steine bis zum Rinnstein. Keine drei Schritt von Dorn entfernt lag der weibische Jüngling mit dem Breitschwert seines Vaters in der Hand. Die Klinge war kurz über dem Griff abgebrochen, und der Hals des Jungen war von Ohr zu Ohr aufgeschlitzt. Gleich daneben lag der Alte mit dem steifen Bein. Ein Dolch ragte aus seiner Brust wie die Standarte auf einem Schachtfeld.
    D u hast gewonnen, und ich auch, doch die, die abgeschlachtet worden sind, haben herzlich wenig davon. Zum Trost werden wir ihren Angehörigen erzählen, sie seien tapfer gefallen, für eine gute Sache. Alles Lügen.
    Die Heuwagen der brennenden Barrikade begannen, sich dem Feuer zu ergeben. Die Achsen brachen, die hohen Seitenwände vergingen unter den Flammen, und Funken und Asche wurden von der Hitze in die Höhe getragen. Dorn spürte die Kraft der Flammen auf seiner Haut. Auf der Hauptstraße hinter der brennenden Barrikade versammelten

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