Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
oder irgendwelche anderen Mätzchen zu versuchen.
Als er die Treppe hinunterkam, starrte ihn ein Dutzend Paar Augen an. Ningoths Freunde hatten sich um seine Leiche versammelt. Ihre Blicke verrieten Verständnislosigkeit und Hass.
»Wen haben wir denn da?«, schnaubte einer der Männer. »Du hättest lieber das Weite suchen sollen, anstatt dich dort oben zu verstecken. Oder warst du mit deinem Raubzug noch nicht zu Ende.«
»Ich schneide diesem kleinen Dreckskerl hier und jetzt die Kehle durch«, sagte ein anderer. »Einen Strick hat er nicht verdient, diese kleine Ratte.«
Der Mann zog einen Dolch und machte einen Schritt auf die Treppen zu, aber ein anderer, ein kräftiger Mann mit langen schwarzen Haaren, hielt ihn an der Schulter zurück.
»Lass ihn erst erzählen, was passiert ist. Dann können wir immer noch entscheiden, was wir mit ihm machen.«
Jetzt redeten gleich mehrere der Männer durcheinander.
»Wir haben doch Augen im Kopf.«
»Alles, was er uns auftischen wird, sind Lügen.«
»Gar nicht lange fackeln mit dem Abschaum. Aufhängen und fertig.«
Niemand schien sich jedoch den Anweisungen des Mannes mit den schwarzen Haaren widersetzen zu wollen. Augenscheinlich hatte er hier das Sagen.
Milo wartete ab. Er wollte nichts Falsches sagen, solange er noch die Schwertspitze im Rücken fühlte. Die Männer bildeten einen Ring um ihn wie ein Wolfsrudel um ein Hasenjunges. Der Druck der Schwertspitze ließ nach, also begann Milo stockend zu sprechen.
Er erzählte den Männern, wie Ningoth ihn aufgenommen hatte und er nicht schlafen konnte. Er erzählte von dem nächtlichen Besucher und seinem Untier, wie er das Fenster zertrümmert und sich in der Kiste versteckt hatte.
»Eine dümmere Geschichte ist dir nicht eingefallen, was?«, grunzte einer der Männer. »Wer soll dir diesen Mist denn abnehmen? Ein Mann und ein Ungeheuer, die genauso spurlos verschwinden, wie sie gekommen sind. Solche Geschichten erzählen alle Mörder, die geschnappt werden. Es war ein anderer, Herr Richter, aber der ist weggelaufen und hat mir das blutige Schwert in die Hand gedrückt.«
»Aufhängen, sage ich!«, grölte einer aus der zweiten Reihe.
Der schwarzhaarige Mann hob beschwichtigend den Arm und wartete auf Ruhe. Sofort verstummten die Stimmen.
»Vielleicht lügt er uns an«, sagte er, »aber vielleicht auch nicht. Immerhin gibt es einige Dinge, die für seine Geschichte sprechen.«
»Und was wären das für Dinge?«, grölte der Mann aus der zweiten Reihe.
»Ihr könntet es sehen, wenn ihr die Augen aufmachen würdet,anstatt blind vor Hass einen Schuldigen zu suchen. Dieses Haus hat sich der Wahrheit verschworen, habt ihr das schon vergessen? Ningoth wäre sicherlich stolz auf euch.«
Die Männer schienen den Zynismus verstanden zu haben, mehr aber auch nicht, wie ihre Blicke verrieten.
»Zuerst einmal spricht die Wunde an Ningoths Hals tatsächlich für eine Bestie. Es sieht aus, als wenn sein Hals durchbissen wurde. Der Halbling hat das nicht getan. Und dann gibt es noch etwas, das mich an seine Geschichte glauben lässt.« Der Mann zeigte auf Milo und winkte ihn zu sich. »Komm her, mein kleiner Freund«, bat er. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich tue dir nichts.«
Milo tippelte zögerlich auf ihn zu. Kurz bevor er stehen bleiben wollte, schnellte der Arm des Mannes vor und packte Milos Hand mit dem Ring. Milo wollte sie zurückziehen, doch die Finger des Mannes hatten sich schon fest um sein Handgelenk geschlossen.
»Ist es das, wonach es aussieht, Rough?«
»Das ist es«, bestätigte er. »Dasselbe Zeichen, für das die Regorianer töten, damit niemand von seiner Existenz erfährt. Dasselbe Zeichen, das als Banner der Revolte in Zargenfels über den Dächern der Häuser flattert.«
Rough hielt Milos Hand hoch und zeigte sie in die Runde. Die Männer nickten zustimmend einer nach dem anderen.
»Wo hast du das her, kleiner Mann?«, fragte er Milo.
»Gefunden«, antwortete Milo steif.
»Das war eine Lüge«, erkannte Rough. »Du wirst mit uns nach Zargenfels kommen. Ich möchte dich jemandem vorstellen.«
19. RUBINIA
Rubinia wurde von Stimmen geweckt. Jemand unterhielt sich und nannte ihren Namen.
»Ich kann es immer nur wiederholen, Rubinia hat mir das Leben gerettet und ihr eigenes dafür aufs Spiel gesetzt. Von Euren Söhnen weiß ich nichts«, beteuerte eine Frauenstimme.
»Na gut, wir werden eben warten müssen, bis sie erwacht. Dann werden wir sehen, ob du uns die Wahrheit erzählt
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