Der Duft der Eukalyptusbluete - Roman
ihr als Bett diente, und versuchte zu schlafen. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so allein und verloren gefühlt. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie wenigstens noch ihren Vater gehabt. Jetzt hatte sie niemanden mehr, keine Menschenseele auf der ganzen weiten Welt. Oder zumindest nicht in Australien. Und für eine Rückkehr nach Irland zu ihrer Tante und ihrem Onkel fehlte ihr das Geld. Tiefer Kummer überwältigte Abbey. Und schuld an ihrem grenzenlosen Leid war nur Ebenezer Mason. Wie konnte jemand zulassen, dass die Maschinen und Geräte in der Mine veraltet oder kaputt waren, obwohl er die nötigen Mittel zu ihrer Instandhaltung besaß? Wie konnte jemand das Leben seiner Arbeiter vorsätzlich gefährden? Für Abbey war ein solcher Mann schlichtweg ein Verbrecher. Ginge es nach ihr, würde er ins Gefängnis von Redruth geworfen werden. Doch sie wusste, dass das nie passieren würde. Ebenezer Mason hatte in Burra zu viel Macht und Einfluss – es wurde gemunkelt, dass jeder Constable in der Stadt auf seiner Gehaltsliste stand.
In ihrer Verzweiflung konnte Abbey nicht aufhören zu weinen. Irgendwann endlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Als Abbey am anderen Morgen aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Doch dann fiel ihr wieder ein, was sie zu tun hatte, und das gab ihr die Kraft aufzustehen. Sie wollte sich gerade auf den Weg zur Mine machen, um Ebenezer Mason zur Rede zu stellen, als Herman Schultz kam.
Nachdem er ihr sein Beileid ausgesprochen hatte, fuhr er bedauernd fort: »Ich fürchte, bei diesen Temperaturen werden wir Ihren Vater heute schon beerdigen müssen, Miss Scottsdale, und nicht bis morgen warten können.«
Abbey riss die Augen auf. »Heute schon!«
»Ja, spätestens heute Nachmittag.«
»Aber … aber ich habe kein Geld für einen anständigen Sarg und einen Grabstein.«
Herman hatte Mitleid mit der jungen Frau. »Dann schlage ich vor, dass wir einen schlichten Kiefernholzsarg nehmen werden und Sie das Grabkreuz selbst fertigen.«
»Was ist mit Neal Tavis?«, fragte Abbey mit zitternder Stimme. »Seine Mutter ist nach Clare ins Krankenhaus gebracht worden, wer wird seine Beerdigung veranlassen?«
Herman machte ein betretenes Gesicht. »Mr. Tavis wird ein Armenbegräbnis bekommen«, erwiderte er bedrückt. In Fällen wie diesem wurde der Leichenbestatter von der Gemeinde bezahlt.
Abbey guckte ihn groß an, als sie das hörte. Ohnmächtige Wut packte sie. »Das ist nicht gerecht«, sagte sie zornig. »Es wäre Sache des Minenbesitzers, ein anständiges Begräbnis für meinen Vater, für Neal und für Jock McManus zu bezahlen! Das ist das Mindeste, was er tun könnte!«
»Es steht mir nicht zu, Geld vom Eigentümer der Mine zu fordern, Miss Scottsdale. Das kann ich nicht machen.«
»Sie vielleicht nicht, aber ich«, fauchte Abbey. »Und genau das werde ich auch tun! Das Beste ist für meinen Vater und für Neal gerade gut genug. Ich werde das Geld schon bekommen, das verspreche ich Ihnen.«
»Was die Bezahlung angeht, kann ich Ihnen leider keinen Aufschub gewähren, Miss Scottsdale«, sagte Herman sichtlich verlegen. »Ich habe eine große Familie zu ernähren …«
»Sie kriegen Ihr Geld«, versprach Abbey.
Herman Schultz kannte Ebenezer Mason zwar nicht persönlich, aber seit er sein Bestattungsunternehmen fünf Jahre zuvor gegründet hatte, waren zwölf Minenarbeiter tödlich verunglückt, und der Eigentümer der Mine hatte kein einziges Begräbnis bezahlt. Er hielt es daher für ziemlich unwahrscheinlich, dass die junge Frau Geld von Mason bekommen würde. »Es tut mir leid, Miss Scottsdale, aber ich muss darauf bestehen, dass Sie mich vor der Beerdigung bezahlen.«
»Ich verstehe«, erwiderte Abbey ärgerlich. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Herman nickte und verabschiedete sich.
Als er fort war, machte sich Abbey unverzüglich auf den Weg zur Mine, um Ebenezer Mason aufzusuchen. Er sei nicht da, erklärte ihr Mrs. Sneebickler, seine Sekretärin.
»Wann kommt er zurück? Ich werde nicht von hier weggehen, bis ich mit ihm gesprochen habe«, sagte Abbey mit Nachdruck und verschränkte die Arme vor der Brust.
Mrs. Sneebickler war eine resolute Person, die wie geschaffen war für die Arbeit in der Männerwelt. Sie konnte sehr energisch sein und sich normalerweise selbst bei den härtesten Burschen Respekt verschaffen. Aber sie brachte es nicht fertig, eine trauernde junge Frau, die gerade ihren Vater verloren hatte und nichts als ein paar Antworten und
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