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Der Duft der Eukalyptusbluete - Roman

Titel: Der Duft der Eukalyptusbluete - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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»Was machst du denn da oben?«
    Sie winkte ihn zu sich.
    Als er hinaufgeklettert war, legte sie den Finger an die Lippen und zeigte dann durch den Spalt nach draußen. Von hier konnten sie alles sehen, was am Lagerfeuer der Aborigines vor sich ging.
    »Vielleicht sollten wir sie lieber nicht beobachten«, flüsterte Jack, aber es klang halbherzig.
    »Willst du denn nicht wissen, was sie mit Max machen?«
    »Doch, schon«, antwortete Jack, der genauso neugierig war wie Abbey. »Aber wir müssen vorsichtig sein, sie dürfen uns auf keinen Fall bemerken.«
    Der weißhaarige Aborigine warf noch mehr Holz auf das Feuer, bis die Funken sprühten und die Flammen hoch loderten. Die beiden Frauen setzten sich Max gegenüber auf die andere Seite des Feuers und stellten das Gefäß ab, das sie getragen hatten. Im orangeroten Schein des Feuers wirkten ihre hageren Gesichter gespenstisch. Der alte Mann, der kadaicha , stimmte einen monotonen Singsang an, während er das Gefäß über den Flammen im Rauch schwenkte.
    »Was macht er denn da?«, flüsterte Abbey, die fasziniert zuschaute.
    »Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nur, dass die Aborigines an die reinigende Wirkung des Rauchs glauben. Sie halten zum Beispiel auch Neugeborene über den Rauch eines Holzfeuers.«
    Ernie kauerte neben Max und sorgte dafür, dass er still lag. Der kadaicha befahl ihm, den Verband abzunehmen. Dann öffnete er das Gefäß, warf eine Hand voll Asche von dem Feuer hinein und rührte alles mit einem Stock um. Nach einigen Augenblicken schöpfte er die breiige Masse mit beiden Händen heraus und bestrich damit Max’ Wunde. Anschließend stimmte er abermals seinen monotonen Singsang an und wedelte den Rauch über Max.
    »Hast du so etwas schon einmal gesehen?«, fragte Abbey leise.
    »Nein, noch nie«, antwortete Jack im Flüsterton. »Aber einmal habe ich Ernie dabei beobachtet, wie er sich Asche auf eine offene Wunde streute. Ich hab ihn gewarnt, ich hab ihm gesagt, die Wunde würde sich entzünden, aber das war nicht der Fall.«
    »Was hat es mit diesem Singsang auf sich?«
    »Ich könnte mir denken, dass er damit böse Geister vertreiben will.« Jack schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Mach dir keine großen Hoffnungen, Abbey, ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles etwas helfen wird.«
    Abbey legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich will aber daran glauben, Jack, auch wenn ich vielleicht enttäuscht werde. Die Aborigines leben seit hunderten, vielleicht sogar seit tausenden von Jahren hier. Würde ihre Heilkunst nichts bewirken, hätten sie sicher nicht so lange überlebt.«
    »Aber viele sind auch krank geworden und gestorben, Abbey.«
    »Ein Freund meines Vaters erzählte mir einmal, die Weißen hätten Krankheiten wie zum Beispiel Pocken in dieses Land gebracht, Krankheiten, mit denen die Eingeborenen bis dahin nie in Berührung gekommen waren. Diesen Krankheiten hätten sie nichts entgegenzusetzen, und deshalb würden sie daran sterben, sagte er.«
    Es war sicher etwas dran an dem, was Abbey sagte. Dennoch blieb Jack skeptisch. Die eiternde Wunde hatte Max schon zu viel Kraft gekostet. Er glaubte nicht, dass er überleben würde.
    Der beschwörende Singsang dauerte mehrere Stunden an. Es war eine faszinierende Zeremonie, unwirklich und gespenstisch zugleich.
    Irgendwann fielen Jack und Abbey vor Müdigkeit fast die Augen zu. Sie kletterten von den Heuballen herunter und suchten sich im Stroh einen Platz zum Schlafen.
    Als sie das nächste Mal die Augen aufschlugen, stand Ernie vor ihnen. Draußen war es hell geworden. Max lag auf seiner Decke am Boden und schlief. Einige Sekunden lang waren Abbey und Jack völlig verwirrt. Langsam kehrte die Erinnerung an die heilige Zeremonie des kadaicha zurück, und beide fragten sich, ob alles nur ein Traum gewesen war.
    »Morgen, Boss«, sagte Ernie. »Ich mach mich an die Arbeit.«
    »Morgen, Ernie«, murmelte Jack verschlafen. »Bist du die ganze Nacht auf gewesen?«
    »Hab mich vorhin noch eine Stunde aufs Ohr gelegt. Was ich noch sagen wollte – die eingeborenen Unruhestifter werden dich und deine Brüder nicht mehr behelligen, Boss.«
    »Woher weißt du das?«
    »Der kadaicha hat mir sein Wort gegeben. Er hat sich sehr über die Früchte und das Gemüse gefreut. Der Hund wird bald wieder gesund sein.« Ernie drehte sich um und ging.
    Jack guckte Abbey, die sich über Max gebeugt hatte, verdutzt an. Sie versuchte herauszufinden, ob er sich irgendwie verändert hatte. In diesem Moment

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