Der Duft der Eukalyptusbluete - Roman
mit dem Kopf voraus gegen den Lattenzaun. Abbey beschloss, die Koppel lieber nicht zu betreten, um den Hut herauszuholen. Stattdessen suchte sie einen langen, dünnen Ast, schob ihn zwischen den Latten hindurch und angelte damit nach dem Hut.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen brach der Ast auseinander. »Verdammt«, murmelte Abbey und warf das Stück, das sie noch in der Hand hielt, weg. Sie beobachtete die Böcke, die gemächlich auf Nahrungssuche waren. Die Luzerne, die Jack ihnen hineingeworfen hatte, hatten sie längst aufgefressen. Als sie sich zur anderen Seite der Koppel bewegten, überlegte sie, ob sie es nicht wagen könnte, schnell hineinzuschlüpfen und den Hut zu holen. Falls die Tiere ihn tatsächlich fraßen und krank wurden oder sogar daran starben, würde sie sich das nie verzeihen.
Clementine beobachtete, wie Abbey vorsichtig das Gatter öffnete. »Was macht sie denn jetzt?«, murmelte sie vor sich hin.
Abbey schloss das Gatter hinter sich und schob sich an der Einfriedung entlang. Der Hut lag vielleicht zwanzig Meter vom Gatter entfernt. Endlich hatte sie ihn erreicht. Genau in dem Moment, als sie sich nach ihm bückte, hob einer der Böcke, die bislang keine Notiz von ihr genommen hatten, den Kopf und schaute in ihre Richtung. Abbey erstarrte.
Clementine sah wie gebannt zu. Sie war fasziniert und fassungslos zugleich. So ein kräftiger Schafbock mit seinen gewaltigen Hörnern war imstande, eine zierliche Person wie Abbey zu töten. Ihr erster Gedanke war, dass das eigentlich nicht so schlimm wäre. Doch dann erschrak sie über sich selbst. Bei aller Eifersucht wollte sie nicht, dass Abbey ernsthaft verletzt wurde.
Abbey stand da wie versteinert. Sie ließ den Schafbock nicht aus den Augen. Fieberhaft überlegte sie, wie schnell ein Bock wohl rennen konnte und wie lange sie selbst zum Gatter brauchen würde, sofern sie vor Angst nicht wie gelähmt wäre.
Der Schafbock rührte sich nicht, aber auch er ließ Abbey nicht aus den Augen. Ganz langsam wich sie zum Lattenzaun zurück. Sie wagte nicht einmal zu atmen. Sie wusste, dass sie mit ihren Röcken nicht schnell genug über die Einfriedung klettern könnte, und darunter hindurchkriechen ging auch nicht, weil zu wenig Platz war. Übelkeit erfasste sie, sie hatte einen galligen Geschmack im Mund und musste ein paarmal schlucken.
Clementines Blicke huschten von Abbey zu den Böcken und wieder zurück zu Abbey. Auch sie hielt unwillkürlich die Luft an.
Plötzlich hob ein zweiter Schafbock den Kopf und schaute in Abbeys Richtung. Er machte ein paar Schritte auf sie zu. Abbey blieb wie angewurzelt stehen. Sie konnte nicht erkennen, ob es Napoleon war. Sie hoffte inständig, dass er es nicht war, schließlich hatte sie selbst gesehen, wie angriffslustig er sein konnte. Na los, beweg dich, ermahnte sie sich im Stillen. Worauf wartest du? Beweg dich endlich!
»Lauf, Abbey«, flüsterte Clementine. »Mach schon, lauf!«
Der Schafbock senkte den Kopf wieder und rupfte ein paar Gräser. Da endlich löste sich Abbey aus ihrer Erstarrung. Sie drehte sich langsam um und ging wie selbstverständlich auf das Gatter zu, das vielleicht zwanzig Schritt entfernt war. Ihr kam es wie zwanzig Meilen vor, so bleischwer fühlten sich ihre Beine an. Ihr Herz raste, das Blut pochte ihr in den Schläfen, und als sie das Gatter endlich erreicht hatte, war ihr so schwindlig, dass sie glaubte, gleich ohnmächtig zu werden. Ihre Finger zitterten, als sie mit fahrigen Bewegungen die Drahtschlinge über den Pfosten nach oben zog. Sie stülpte den Hut über den Pfosten auf der anderen Seite des Gatters, damit sie beide Hände frei hatte, riss das Gatter auf, ging hinaus und zog es wieder hinter sich zu. Sie seufzte erleichtert auf, schloss die Augen und lehnte sich einen Moment an die Koppel. Die Schafböcke hatten sich nicht vom Fleck gerührt, aber alle schauten zu ihr herüber.
Auch Clementine atmete auf. Aber kaum war Abbey in Sicherheit, begannen schon wieder Neid und Eifersucht an ihr zu nagen. Anscheinend war das Glück immer auf Abbeys Seite.
Abbey ging zurück zum Haus. Sie blickte sich nicht ein einziges Mal um. Sie hatte nur noch einen Wunsch: so schnell wie möglich in ihr Zimmer und in ihr Bett zu kommen.
Als Abbey außer Sichtweite war, trat Clementine aus der Scheune und ging zu dem Gatter in der Koppel. Sie fühlte Groll in sich aufsteigen. Was Abbey auch machte, ihr gelang einfach alles, und jeder bewunderte sie. Sie konnte fabelhaft kochen. Sie holte
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