Der Duft der grünen Papaya
fällten, in Guatemala, war er vor Ort und legte selbst Hand mit an, und als dann der mächtige Baum würdevoll wie in Zeitlupe zu Boden fiel, kamen ihm fast die Tränen vor Glück. Einen solchen Baum niederzuzwingen
hatte etwas Erhebendes, so als ginge die Kraft des besiegten Riesen auf einen selbst über. Jedesmal, wenn ein solcher Baum fiel, hatte Ray das Gefühl, dass auch Chuck, sein Vater, fiel.
Doch er erlebte Rückschläge. Die großen etablierten Konkurrenten waren immer vor ihm dort, wo ein lukratives Holzgeschäft abzuschließen war, im Amazonasbecken, auf Madagaskar, in den Tropenwäldern Indonesiens und Malaysias. Und selbst wenn er einmal schneller war, machten dennoch die anderen das Geschäft, denn sie konnten die zuständigen Regierungsbeamten mit weitaus höheren Summen bestechen, als seine Geldmittel das zuließen. Die Wälder der Südseeinseln, für die er sich jetzt interessierte, waren zwar global gesehen nur kleine Fische – weshalb die Großen sie bisher außer Acht ließen –, doch zugleich seine erste reelle Chance, Erfolg in diesem harten Geschäft zu haben.
Auf Ane allein konnte er sich nicht mehr verlassen. Sie hatte kein Format, keine Intelligenz, keine wirkliche Kraft. Fraß ihm seit Wochen aus der Hand. Spazierte hyperventilierend vor Aufregung mit einem Modelvertrag herum, den sie ebenso gut in den Müllschlucker werfen könnte. Er hatte einkalkuliert, dass Ane ihm eventuell Probleme machen würde, und sich darauf vorbereitet. Es gab keine Agentur namens Flash Fury , oder besser, er hatte sie vor zwei Wochen gegründet, mit einem Freund als Geschäftsführer, dem er dafür ein Steak im besten Steakhaus Wyomings spendieren würde. Dieser Vertrag verpflichtete ihn zu nichts. Sowohl Zeitpunkt der Probeaufnahmen als auch der Ort waren nicht festgelegt, und in ein paar Monaten würde die Agentur bereits im Register der aufgelösten Firmen stehen.
Er grinste. Flash Fury war wirklich ein blöder Name.
Ray suchte im Telefonspeicher seines Handys nach einer
Nummer und wählte sie. Für den Fall, dass Anes Großmutter sich plötzlich gegen den Verkauf entscheiden würde, musste er verschiedene Vorsichtsmaßnahmen treffen. Die erste hatte er vorhin klargemacht, als Ane gekommen war. Da hatte er gerade mit einem Typen verhandelt, der gewisse Aufträge übernahm, die nicht im Branchenbuch standen.
Jetzt kam die nächste Vorsichtsmaßnahme dran.
Die süßliche Oboenstimme der Telefonistin in einem Glaspalast mitten in Philadelphia, USA, war eine Wohltat.
»Guten Tag, hier United Trade and Commerce Bank , wen möchten Sie sprechen?«
»Es gibt kein Hotel, Ili, nicht mal als Plan, und es wird auch keines geben. Ray Kettner hat nur ein Ziel: Er will Ihren Wald kahl schlagen. So viel, wie er in die Finger kriegt.«
Ili schlug erschreckt die Hände vor den Mund, ihre Augen glänzten. »Woher wissen Sie das?«
Während der gesamten Überfahrt hatte Evelyn über die Stunden seit gestern Mittag nachgedacht, als sie im Pundt gewesen war und beschlossen hatte, zu Ray ins Aggie Grey’s zu fahren. Was war es gewesen, das sie zu ihm getrieben hatte: die Kraft, die von ihm ausging; die Beachtung, die er ihr entgegengebracht hatte; sein aufmunterndes, ehrliches Lächeln? Ehrlich! Sie war eine Närrin gewesen, eine hungrige Närrin. Und er hatte das bereits bei ihrer ersten Begegnung gemerkt. Jetzt, nachdem sie ihm nahe gewesen war und mehr als nur eine Facette seiner Persönlichkeit kannte, spürte sie, was für ein armseliger Charakter er war. Ray suchte und nahm sich Frauen, die schwach waren, die sich nach etwas sehnten, nach einem starken Willen oder nach Liebe, nach Träumen oder einfach einem warmen Körper. Ray versprach jedem alles. Man musste sich nur ansehen, welche Frauen er sich hier ausgesucht hatte: eine
geld- und geltungssüchtige Traumtänzerin und eine überspannte Neurasthenikerin auf der Flucht. Dass beide ihm auch in geschäftlicher Hinsicht dienen konnten, musste ihn köstlich amüsiert haben.
»Ich weiß es von Ray Kettner selbst«, antwortete sie, ohne auf die näheren Umstände einzugehen.
»Warum?«, wollte Ili wissen. »Was hat er davon?«
»Geld natürlich. Das Holz verkauft er teuer weiter, daraus werden dann allerlei Möbel gefertigt. Die Nachfrage ist groß.«
»Ja, aber – wieso?«
»Aus dem gleichen Grund, aus dem man Papayas kauft: Sie sind exotisch, und man braucht nur in den Laden zu gehen, um sie zu kriegen.«
Evelyn biss sich auf die Lippe. Das
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