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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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angenagt von Fischen und Krebsen.
    Das also war die Kehrseite des Paradieses. Tristan hatte stets ungläubig zugehört, wenn ihm jemand von der Vergangenheit Samoas erzählt hatte, von blutigen Kriegen zwischen den Inseln, von gewalttätigen Riten, grausamen, rachsüchtigen Geistern und sogar von einzelnen Fällen von Kannibalismus. Ältere Einheimische hatten Väter gehabt, die diese Zeiten noch er lebt und ge lebt hatten, doch den heutigen Samoanern war das Erbe früherer Generationen kaum noch anzumerken. Sie ruhten den halben Tag über im Schatten, grüßten höflich und luden jeden, der darum
bat, auf eine kava in ihre Hütten ein. Morgens warfen die jüngeren von ihnen von kleinen, schlanken Booten aus ihre Netze ins Meer, und abends kamen die Dorfbewohner zusammen und schwatzten. Sie waren zur Ruhe gekommen. Nur jene Traditionen wurden fortgesetzt, die unblutig waren, so wie die Jungmannzeremonie oder die lockere Bekleidung an Werktagen.
    Doch in mindestens einem Bewohner dieser Insel war die Zeit der Geister wieder erwacht.
    Tristan schluckte seinen Ekel hinunter. Wer immer das getan hatte, musste gefunden und bestraft werden.
    »Dreht den Ordinarius um«, befahl er zwei seiner Polizisten. Löblichs fahles Gesicht drückte nichts mehr aus von dem Glück, das er in den paar Wochen auf Samoa gefunden hatte, aber auch nichts von dem Schmerz der letzten Sekunden. Ein riesiger, vom Sand verklebter Blutfleck prangte auf dem weißen Nachtgewand, und die linke Hand war zur Faust geballt.
    »Er scheint etwas in der Hand zu haben«, stellte Tristan fest, nachdem er sich neben die Leiche gekniet hatte. »Seht nach, was es ist.«
    Die beiden Polizisten sahen einander an, unentschlossen, wer von ihnen den Befehl ausführen sollte. Schließlich überwand sich einer und versuchte, die Faust zu öffnen, doch die Finger waren steif geworden und bewahrten ihr Geheimnis.
    »Du musst die Finger einzeln öffnen«, sagte Tristan. Der Polizist scheute davor jedoch zurück, und so ergriff Tristan selbst die Leichenhand und öffnete einen Finger nach dem anderen, was einige Mühe kostete und die Polizisten veranlasste wegzusehen.
    Schließlich kullerte ein Kerzenstummel hervor. Tristan betrachtete ihn wie ein Schmuckstück. Der Docht war ins Wachs gedrückt, merkwürdigerweise aber nicht von Sandkörnern
umgeben, und Löblichs Handfläche war unversehrt. Die Kerze war also weder durch Herunterfallen noch durch die Hand des Geistlichen gelöscht worden.
    »Mein Gott«, flüsterte Tristan und erhob sich langsam. »Lass das nicht wahr sein. Ich bitte dich.«
     
    In den folgenden Tagen ging Tristan einem Gespräch mit Tupu aus dem Weg. Niemandem vertraute er sich an, schon gar nicht Tuila. Wie in den Tagen, als er von ihr getrennt gewesen war, blieb er abends lange in der Station und arbeitete, wie er behauptete, an der Aufklärung der drei Morde. Doch das war nur Schein. Er kannte die Wahrheit schon, denn er hielt den Zufall für unwahrscheinlich, dass Löblich eine auf einem Körper ausgedrückte Kerze in der Hand gehalten hatte und gleichzeitig Tupu eine frische, kreisrunde Brandwunde auf der Brust aufwies, die nichts mit dem Verbrechen zu tun haben sollte. Tristan hatte die Wunde bei dem kurzen Gespräch mit ihm am Sonntag gesehen, sich aber nichts dabei gedacht. Erst die Kerze stellte den Zusammenhang her.
    Dennoch behielt er dieses Wissen für sich. Wenn Tuila ihn auf das Verbrechen ansprach, antwortete er ausweichend, man werde den oder die Täter schon früher oder später ergreifen, sie kämen nicht ungeschoren davon, und er wisse, dass die meisten Samoaner friedliche Menschen seien, die die Morde missbilligten. Tuila war weit entfernt von jedem Verdacht gegen ihren Bruder. Wie hätte es auch anders sein können? Sie wusste nichts von Tupus Anschlag auf das Picknick und seiner Zugehörigkeit zu den Mau . Er war das Familienoberhaupt der Valaisis und als solches ein wenig faul, doch das traf auch auf andere Oberhäupter zu. Auch fiel ihr nicht auf, dass Tupu der Einzige aus ihrem Umfeld war, der sich nicht zu den Morden äußerte. Jeder andere, sogar Ivana, sprach darüber, wobei sie eine der wenigen
war, die die Brutalität des Verbrechens zwar verurteilten, aber die Folgen guthießen.
    »Nun werden vielleicht weniger Missionare kommen, die uns wie dumme Kinder behandeln«, keifte sie. »Fort mit ihnen. Wir wissen selbst am besten, was gut für uns ist.«
    »Und was ist gut für uns?«, wollte Tuila wissen. »Die lähmende

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