Der Duft der grünen Papaya
auf ein gemeinsames Bad mit ihm, bevor sie zusammen zur Kirche gingen. Noch immer fand er es schade, dass diese – im besten Sinne – Naturmenschen, die durch Urwälder streiften und an Lagerfeuern tanzten, sonntags Kirchenlieder sangen und züchtige Kleider trugen. Doch er gewöhnte sich daran und bemerkte zufrieden, dass sie der Religion wegen ihr Alltagsleben kaum änderten.
Er schlug die Decke zurück und ging zu einem der Fenster. Der Morgenhimmel war wie blaues Glas. In der Ferne, zwischen den Bäumen, kündeten feine Rauchfäden von erwachten Dörfern. Nur mit einem Hüfttuch bekleidet, das er sich sorglos umwickelte und das noch nicht einmal die Oberschenkel bedeckte, trat er auf die Veranda. Von dort sah er Tuila, wie sie unten in der Bucht badete. Er dachte an Arnsberg und wie dort die Morgenstunden verlaufen waren: ein Diener, der ihn weckte, ein Anzug, der bereitlag, ein ganzes Regiment von kleinen Dosen und Instrumenten zur Körperpflege, Seifen, Rasiercremes, Rasierwasser, Klingen, Scheren, Haarwachs, anschließend ein formelles Frühstück auf Meissner Porzellan. Und später beim Militär? Alles hatte dort auf die Minute zu beginnen und zu enden, von der Morgensirene bis zum Zapfenstreich. In Samoa spielte das alles keine Rolle. Die Natur gab hier das Tempo vor, und die Natur hatte Zeit. Sehr viel Zeit. Sie interessierte sich auch nicht für Haarwachs und Anzüge. Der Pazifik war die Badewanne, und die Fruchtbäume
waren der Arbeitsplatz. Eintausend Papayasetzlinge hatte Tristan gekauft, die er derzeit von Arbeitern hinter dem Haus einpflanzen ließ, so wie Tuila es sich gewünscht hatte.
Vielleicht werde ich doch noch ein Bauer, dachte er und spürte wieder, wie ihn dieses neue Lebensgefühl erfasste. Seine Träume waren teils schon verwirklicht und teils greifbar nah, wie sein erstes Kind, das in Tuila heranwuchs. Drei Kinder wünschte er sich, zusammen mit Moana würden dann vier Kinder im Haus aufwachsen, lärmen, spielen, erwachsen werden.
Einzig der Schatten von Arnsberg verdüsterte dieses Zukunftsbild. Wie würden seine Eltern auf die gelöste Verlobung reagieren? Wie viel von Clara Hanssens galligen Hetztiraden gegen ihn würde sie erreichen? Und was, wenn sein Vater eines Tages stürbe?
Immer wieder holten ihn die Schatten ein, doch an diesem Morgen wollte er nicht darüber nachdenken.
Als er Tupu drüben aus dem Haus kommen sah, nahm er ihn als eine willkommene Abwechslung wahr und ging zu ihm. Tupu war noch nackter als er selbst, nur mit einem knappen Schurz bekleidet. Offenbar wollte er sich, ebenso wie Tristan, waschen gehen.
»Hallo, Tupu. Wir begegnen uns kaum noch. Kommst du nachher mit zur Kirche?«
»Nein, Ivana fühlt sich nicht wohl. Da bleibe ich lieber hier.«
Tristan fand, dass auch Tupu nicht ganz gesund wirkte, und fragte: »Vielleicht etwas Ansteckendes? Sollen wir einen Arzt rufen? Oder wenigstens die Kleine zu uns nehmen?«
»Nein, nein, es wird schon nichts sein. Wolltest du gerade zu Tuila ans Wasser?«
»Ja. Komm doch mit!«
»Ich lasse euch lieber allein.«
»Unsinn, Tupu, die Bucht ist doch für alle da. Wir freuen uns, wenn du …«
Aber Tupu verschwand im Haus, bevor Tristan seinen Satz zu Ende sprechen konnte. Er konnte versuchen, was er wollte, und wurde trotzdem nicht warm mit Tuilas Bruder. Das galt auch umgekehrt. Er spürte die Abneigung, die sein Schwager gegen ihn hegte, die immer schon dagewesen, aber in letzter Zeit besser versteckt war als früher. Möglicherweise lag es daran, dass sie beide ein Geheimnis teilten, sogar mehrere. Tupu behagte es vermutlich nicht, dass Tristan von seiner Attacke gegen die Picknickgesellschaft wusste, und Tristan war nicht wohl, dass Tupu – außer Ordinarius Löblich und dessen Nonnen – der einzige Zeuge seiner verbotenen Eheschließung war. Irgendwie waren sie beide auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden, zwei Menschen, die im Grunde wenig gemein hatten, und das passte ihnen vermutlich nicht. Wenn er ehrlich war, mochte Tristan seinen Schwager ebenso wenig wie dieser ihn.
Doch Tuila war glücklich mit ihrem Bruder im Haus, und dieses Glück war ihm wichtiger als alles andere.
Er bekam schreckliche Sehnsucht nach ihr und rannte zur Bucht, wobei er auf halbem Weg das Tuch verlor, und stürzte sich mit einem Sprung in den Ozean. Als er unter Wasser Tuilas Fuß zu fassen bekam, zog er ihn hoch und warf sie um.
»Du Schuft, jetzt sind meine Haare nass!«, rief sie lachend.
Er tauchte
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