Der Duft der grünen Papaya
nach.«
In dem Moment, als er zustieß, sah er Schwester Dorothea direkt in die weit aufgerissenen Augen. Sie ließ die Kerze fallen, klammerte sich an seine Schultern und glitt langsam, fast zärtlich, an ihm herab.
Schwester Bertha, die noch gut zwanzig Schritte entfernt war, blieb stehen. »Mein Gott«, flüsterte sie, wandte sich um und rannte davon.
Tupu zögerte keinen Augenblick. Er war nicht sicher, ob sie ihn erkannt hatte. Den Dolch in der Faust, rannte er hinter ihr her. Natürlich war er schneller als sie, doch sie flüchtete sich zwischen die Bäume in das Dunkel des Waldes.
Sie schrie, keine Worte, sondern kurze, abgehackte Laute, wie ein Tier auf der Flucht. Zu spät, wusste er. Sie war in die falsche Richtung gelaufen, weg vom Dorf. Hier hörte sie niemand.
Ihr weißes Gewand blitzte dann und wann durch das Gewirr der Bäume, so dass er ihre Spur nie verlor. Längst
hätte er sie eingeholt haben können, doch nun war ihm seltsamerweise nicht mehr daran gelegen, dass es so schnell ging. Er wollte sie jagen, jagen wie ein Tier.
Hetzen.
Zu Tode hetzen.
Ihre Angst spüren.
Er spürte ihre Angst. Er hörte ihren gequälten Atem.
Sie lief auf das Meer zu, ohne es zu wissen. Verfing sich in Lianen, stolperte über Zweige.
Tupu hielt ständig den gleichen Abstand, nahe genug, um sie in Angst zu halten, weit genug, um ihr die Illusion einer möglichen Rettung zu lassen.
Am Strand rannte sie zunächst in die eine Richtung, dann, als sie die hohen Felsen vor sich bemerkte, in die andere.
Als Tupu zwischen den Palmen hervorsprang, war sie keine drei Schritte mehr entfernt.
»Bitte nicht«, stieß sie flehend hervor.
Er trieb sie mit dem Dolch in der gestreckten Hand vor sich her, trieb sie ins Wasser.
Ihr nasses Gewand schmiegte sich an ihren Körper, zuerst um die Beine, dann um die Hüften, um den Bauch. Mit hektischen, ungelenken Schwimmbewegungen versuchte sie, vom ihm wegzukommen.
Tupu ließ sie eine Weile gewähren, aber nur, um die Jagd zu verlängern. Als er fand, dass ihr Vorsprung ausreichend war, klemmte er sich den Dolch zwischen die Zähne und holte sie mit zehn, zwölf athletischen Zügen wieder ein.
Er tauchte nach einem ihrer Beine, griff es und zerrte daran.
»Bitte nicht«, flehte sie halb erstickt. Ihr Kopf geriet immer wieder unter Wasser.
Als er einen Moment unaufmerksam war, gelang es ihr, ihr Bein seinem Griff zu entreißen und ihm damit einen
Tritt ins Gesicht zu versetzen. Der Tritt war schwach, traf aber ausgerechnet den Dolch zwischen seinen Zähnen. Die Klinge schnitt in die Mundwinkel.
Der Schmerz und das Blut machten ihn rasend.
Er griff nach der Waffe und stach planlos auf sein Opfer ein, gleichgültig ob er traf oder nicht. Sie wand sich, zappelte, gurgelte, wehrte sich mit kleinen Schlägen, schwächer werdend, erlahmend. Dann, eine Ewigkeit schien vergangen, sank ihr Körper vornüber.
Tupu brauchte etliche Atemzüge, bevor er verstand, was geschehen war. Für ihn war es, als erwache er aus einem schrecklichen Traum. Als er sich umsah, schwamm er in einem Meer von Blut. Panik erfasste ihn. Beinahe versank er, aber er bekam etwas zu fassen und hielt sich daran fest. Er erschrak, denn es war die Leiche der Nonne. Mit unkoordinierten Bewegungen, die nichts mehr mit der athletischen Jagd zu tun hatten, gelangte er ans Ufer.
Obwohl er schnell wieder zu Atem kam, lag er eine Stunde lang wie ein Schiffbrüchiger auf dem Sand, umspült von kleinen Wellen.
»Wahnsinn«, flüsterte er immer wieder. »Ich muss wahnsinnig sein.«
Und dann verzerrte sich sein Gesicht zu einer grotesken, weinenden Maske.
Tristan schlug die Augen auf. Das Schlafzimmer war ein safranfarbener Lichtsee, gespeist aus vier hohen, der Morgensonne zugewandten Fenstern. Ein fünftes Fenster war mit einer Matte verhängt, und ein duftender Windhauch spielte mit diesem Palmengeflecht, hob es sanft an, drang ins Zimmer und bewegte die Blumen auf dem Tisch neben Tristans Bett. Ein paar Minuten lang lag er still, betrachtete den Raum wie ein faszinierendes Gemälde und atmete Sauberkeit und Ruhe ein. Das Kribbeln eines neuen Lebensgefühls
durchfuhr seinen Körper, und ohne genau zu wissen, warum, lächelte er. Vielleicht, weil der Augenblick fast perfekt war. Vielleicht, weil er heute Morgen begriff, wie viel Glück er gehabt hatte, nach Samoa gekommen zu sein, diesen Platz gefunden zu haben und dieses Leben zu führen.
Tuila war schon aufgestanden. Heute war Sonntag, und da freute sie sich
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