Der Duft der grünen Papaya
unmittelbar vor ihr auf und küsste sie, umfasste ihren zierlichen Körper mit den Armen und rieb seine Nase an der ihren, so wie Polynesier es gerne haben. »Liebst du mich trotz der nassen Haare noch?«
»Meine Haare können dich nicht mehr ausstehen«, antwortete
sie. »Aber ich, ich liebe dich noch etwas mehr als gestern.«
Sie schwammen raus bis zu den Riffen, die wie Walrücken glatt und braun aus dem Meer lugten. Dort sitzend blickten sie abwechselnd nach Süden in die Unendlichkeit des Meeres, die ohne Unterbrechung Tausende von Meilen bis zur Antarktis reichte, und zurück zur Palauli Bay und dem Haus, das halb verborgen hinter Kokospalmen wie ein Streichholzpalast aussah.
»Weißt du, was mir meine Mutter gestern erzählt hat? Die Leute von Savaii nennen unser Zuhause ein faletele .«
Tristan überlegte. »Heißt das nicht so viel wie ›großes Haus‹?«
»Ihr würdet es eher mit ›Residenz‹ übersetzen oder mit ›Palast‹. Ist das nicht witzig? Meine Landsleute sagen, wir leben in einem Palast. Jetzt hast du ein eigenes Schloss, Tristan. Ein neues Arnsberg, weit weg vom anderen.«
Sie lehnte sich an ihn. »Zusammen mit deiner Uniform wirkst du auf meine Landsleute jetzt wie ein weißer König.«
»Ich bin nur ein einfacher Leutnant – und eines Tages Graf.«
»Gräfin Tuila«, murmelte sie amüsiert. »Wie hört sich das an? Und was genau ist ein Graf? Was macht ihn zu etwas Besonderem?«
»Ich glaube, das weiß bei uns keiner so genau, Tuila. Aristokraten werden nicht gewählt wie eure Familien- und Dorfoberhäupter. Sie gehen auf Bälle, und sie versuchen, so viel Reichtümer wie möglich anzuhäufen und damit zu prahlen.«
»Geld?«
»Geld«, bestätigte er.
Tuila seufzte. »Eine seltsame Erfindung, dieses Geld. Jeder von euch jagt ihm verbissen hinterher wie einem Wild, und dabei überseht ihr völlig, was links und rechts eures
Weges geschieht. Ihr könnt euch nicht mehr auf die Dinge einlassen, die wirklich glücklich machen. Auf den Wind, der von weither kommt, auf eine schnelle Fahrt im Kanu, auf den Schein des Feuers, ein Gespräch unter Freunden und den Duft brennender Kokosschalen. Euch entgeht so vieles.«
»Mir nicht mehr.«
»Nein, dir nicht mehr. Dich habe ich zu einem Samoaner gemacht«, neckte sie ihn.
»Ach, du warst das?«
»Ja.«
»Na, wenn das so ist …« Er kitzelte sie, und sie rutschten beide lachend vom glatten Riff ins Wasser, wo sie sich küssten und nebeneinanderher Richtung Strand schwammen.
»Tristan?«, fragte sie ihn auf halbem Weg. Ihre Stimme klang ein klein wenig traurig. »Werde ich sie jemals sehen, deine Heimat?«
Ohne sie anzusehen, antwortete er: »Meine Heimat ist hier.«
»Aber werde ich jemals deine frühere Heimat sehen? Deinen Vater und deine Mutter? Wirst du mich irgendwann dorthin mitnehmen?«
Er sah noch immer stur geradeaus. »Wer sagt, dass ich fortgehe?«
»Wirst du nie nach Arnsberg zurückkehren?«
»Nein.«
»Auch nicht für eine Weile?«
»Für eine kurze Weile, vielleicht. Wenn es unbedingt nötig wird.«
»Und wenn du dann fortgehst, wirst du uns mitnehmen, mich und unser Kind? Damit dein Vater und deine Mutter sehen, was für eine Frau du hast und was für ein Kind?«
Tristan dachte an den Grafen. Er hörte seine polternde Stimme und sah seine Mutter weinen.
Kurz bevor sie am Strand angekommen waren, sagte er: »Ich werde nicht fortgehen, Tuila, was auch kommt. Es ist für uns alle besser so.«
Oben am Haus wartete schon ein Mann der Fita-Fita auf ihn. Tristan ahnte sofort, dass etwas geschehen war, denn bisher war den samoanischen Polizisten noch nie etwas so dringend erschienen, dass sie ihn aufgesucht hätten, und schon gar nicht sonntags.
Er hob sein Tuch auf, wickelte es sich um die Hüften und trat dem Untergebenen entgegen.
Mitten im salzigen Duft, der vom Meer herwehte, ging Tristan über den Sand, stumm, die Offiziersmütze in den Händen knetend, blickte mal hierhin und mal dorthin, die Miene versteinert. Kinderweinen mischte sich in das Rauschen von Wind und Brandung, das Entsetzen jener, die als Erste die Leichen entdeckt hatten. Löblich lag drüben, im Schatten eines Nistplatzes von Kokospalmen, friedlich wie ein Schlafender auf dem Bauch liegend. Die andere Leiche, eine Schwester, kauerte mit verrenkten Gliedern, die Finger in den Sand gekrallt, am Strand. Und die zweite Schwester war ein Stück weiter von Frauen gefunden worden, in einem entsetzlichen Zustand, abgestochen wie ein Vieh,
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