Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
Vom Netzwerk:
umlagerten noch den Leichnam, manche beteten, andere blieben stehen. Der Ausdruck auf ihren Mienen reichte von Trauer über Unverständnis für Tupus Verbrechen bis hin zu Zufriedenheit. Aber niemand verurteilte die Deutschen, weder in ihrer Gesamtheit noch eine spezielle Person.«
    »Und Tristan?«, wollte Evelyn wissen.

    »Tristan hatte die Fita-Fita abtreten lassen und stand zwischen den Einheimischen. Tuila beachtete ihn nicht, obwohl sie ihn bemerkt haben musste. Schließlich trat er einen Schritt vor und kniete sich neben sie. Er versuchte, ihr alles zu erklären, aber sie ging nicht darauf ein. In der Trauer, sagte sie, wolle sie nicht gestört werden. Dann kamen Ivana und Vaonila hinzu, und bei all den Tränen war für Tristan nicht mehr daran zu denken, irgendwelche vernünftigen Begründungen für sein Verhalten abzuliefern. Ihm blieb nur der Rückzug in die Station. Ausgeschlossen von der familiären Trauer, sah er zu, wie die drei Frauen Tupu fortbrachten.«
    »Fort? Wohin?«
    »In den Wald, Evelyn. Auf einen dicht bewachsenen Hügel nahe der Pulemelei-Pyramide . Einer alten, samoanischen Tradition verpflichtet, hielten die drei Frauen, die winzige Moana und im Grunde auch ich im Bauch meiner Mutter die Totenwache vom Sonnenuntergang bis zum Aufgehen des Morgensterns. Auf einem großen Tuch neben dem Leichnam sitzend, verharrten sie stumm die ganze Nacht und warteten auf ein Zeichen des Waldes. Lässt ein Tier sich auf dem Tuch der Wächter nieder, wird es zweimal verjagt; setzt es sich zum dritten Mal nieder, erkennen wir darin den Geist des Toten. In jener Nacht war es ein Käfer mit einem schillernd roten Panzer, der sich nicht verjagen ließ. Man wartete, bis das Insekt – oder besser gesagt, Tupus Geist – davonflog, erst danach verscharrte man den nun seelenlosen Leichnam an Ort und Stelle in der Erde. Seither verkörpern die roten Käfer für unsere Familie das Andenken an Tupu.«
    Evelyn lächelte. Jetzt verstand sie, weshalb Moana, Tupus Tochter, die Käfer hegte und pflegte. »Ein schöner Brauch.«
    »Es gibt ihn noch heute, wenn auch in abgewandelter
Form. Tupu war einer der Letzten, die vollständig nach dem alten Ritus bestattet wurden.«
    »Haben sich Tuila und Tristan ausgesprochen?«
    Ili seufzte: »Es kam etwas dazwischen.«
    »Und was?«
    »Tupu starb am 31. Juli 1914. Erinnern Sie sich nicht, was vier Tage später, am 3. August, geschah? Denken Sie noch einmal nach.«
    »Oh«, rief Evelyn gedehnt. »Sie meinen …«
    Ili nickte. »Der Tag begann als großes Fest in Samoa, für die Deutschen sowieso, aber auch für die Einheimischen, denen jeder Anlass recht war, um mitzufeiern. Doch am Ende des Tages …«
     
    Samoa, August 1914
     
    Über die Bucht vor Apia hallten die schrägen Töne der Blaskapelle, die Seemannslieder spielte, und zwischen den Riffen schossen pfeilschnell die blumengeschmückten Kanus der Einheimischen umher. An den Kais standen die Frauen und beobachteten die wundervoll gewachsenen, kraftstrotzenden Männer, die sich mit ihren Booten einen Wettkampf lieferten. Die Luft war angenehm frisch, der Wind rauschte in den Palmen. Es gab Stände, an denen Perlwein und Mangobowle für die Damen ausgeschenkt wurde, Gin oder Anisschnaps für die Herren. Man schüttelte sich gegenseitig die Hand, stand herum und plauderte über die nächste Ernte, applaudierte zwischendurch den Musikanten und Wettkämpfern, machte sich hinter vorgehaltener Hand ein wenig über den dicken samoanischen König lustig, der von Kaiser Wilhelm eine Pickelhaube geschickt bekommen hatte, die er wie eine Kokosnuss unter dem Arm trug, und warf zwischenzeitlich auch einmal einen begehrlichen Blick auf die samoanischen Frauen, die
am Ufer tanzten und die Männer auf dem Wasser anfeuerten.
    Der Gouverneur gab der »Samoanischen Zeitung« zwischen zwei Gläsern Schnaps ein Interview, in dem er die neu eingerichtete Funktelegrafenstation als großen Fortschritt für die Kolonie bezeichnete, mittels der man endlich an das weltweite Kommunikationsnetz angebunden sei.
    »Stellen Sie sich vor«, sagte er einem jungen Reporter, der mit aufgerollten Ärmeln vor ihm stand und Notizen machte. »Zum Frühstück können wir unseren Eltern, Kindern oder Geschwistern im Reich eine Nachricht schicken. Und noch zum Abendbrot erhalten wir deren Antwort. Von den geschäftlichen Vorteilen für unsere Kaufleute und Pflanzer will ich gar nicht reden, die liegen ja auf der Hand.«
    »Wann bekommen wir die erste Nachricht

Weitere Kostenlose Bücher