Der Duft der grünen Papaya
endgültig unhaltbar für die Kolonie geworden war. Umgekehrt waren die Einzigen, die ihm sein Verhalten Tupu gegenüber positiv angerechnet hätten, nicht anwesend, nämlich Tuila, Ivana und Vaonila. Rassnitz hatte, als er das Verhör beendete, ganze Arbeit geleistet.
Der Schuldspruch war nur eine Formalität. Der Oberst und seine Beisitzer »berieten« gerade mal eine Minute, bevor sie Tod durch Erschießen verkündeten. Die Exekution sollte noch in derselben Stunde stattfinden.
Tupus Verhaftung sprach sich herum. Einer der Palmweinzapfer, die Zeuge der Festnahme geworden waren, erzählte es seiner Frau, die daraufhin sofort zu Tupus Frau lief. Ivana konnte es nicht glauben. Sie hoffte, es läge ein Irrtum vor, doch tatsächlich war ihr Mann nirgends aufzufinden.
Tuila beruhigte sie.
»Bestimmt nur ein Verhör, Ivana. Immerhin kennt Tupu viele junge Leute, auch aus anderen Dörfern, und die haben vielleicht …«
»Dein Deutscher hat ihn verhaftet!«, rief sie. »Warum hat er Tupu nicht einfach gestern Abend befragt? Warum geht er so hinterlistig vor?«
»Ich – ich verstehe es auch nicht. Aber Tristan würde ihm nie etwas antun.«
»Ich will meinen Mann wiederhaben, hörst du? Sprich mit Tristan. Sorge dafür, dass die papalagi ihn freilassen.«
Die kleine Moana fing an zu schreien und ließ sich nicht wieder beruhigen.
Dann kam Vaonila in die Palauli Bay, aufgeregt und zittrig. Sie hatte ein vages Gerücht gehört und war sofort losgelaufen, um nachzusehen, ob Tupu nicht doch bei seiner Familie war. Als Ivana und Tuila ihr von der Beobachtung des Palmweinzapfers erzählten, brach sie fast zusammen.
»Ich wusste es. Tupu, mein Tupu, tief in mir wusste ich, dass es so kommt«, murmelte Vaonila immer wieder, ohne dass Tuila und Ivana mehr aus ihr herausbekommen konnten. Moana schrie noch immer, und die Nerven der drei Frauen waren bis aufs Äußerste gespannt.
Tuila hielt es schließlich nicht mehr aus. Sie verstand nicht, was zwischen ihrem Mann und ihrem Bruder vorging. Zwei Menschen, die sie liebte, standen plötzlich gegeneinander.
So lief sie in Richtung Salelologa. Ivana, die das Kind trug, und die alte Vaonila folgten ihr, so schnell sie konnten.
Tristan hatte noch nie ein Erschießungskommando befehligt. Exekutionen waren zwar Bestandteil seiner theoretischen Ausbildung gewesen, und in jedem Offiziershandbuch war der standrechtlichen Hinrichtung ein eigenes Kapitel gewidmet, doch praktische Übungen für Offiziersanwärter waren nicht vorgesehen gewesen und nicht durchgeführt worden. Im Generalstab ging man davon aus, dass Offiziere auch in solchen Fällen funktionieren.
Die Bretterwand eines Schuppens neben der Station diente als Hinrichtungsstätte. Dort war man vor den kräftigen Winden des Passats geschützt, die das Zielen schwer gemacht hätten. Vier Polizisten der Fita-Fita waren angetreten, die Gewehre in Händen. Etwas abseits stand Rassnitz, hinter ihm die beiden jungen Siedler mit den zerdrückten Hüten auf dem Kopf, und in einem Winkel zusammengedrängt
beobachteten zehn Samoaner aus Salelologa das Geschehen. Rassnitz wollte, dass sie sahen und weitererzählten, wie es Aufrührern erging.
Tristan erinnerte sich an die Worte des Handbuchs: Dem Delinquenten einen Sichtschutz anbieten.
Sichtschutz, dachte er verächtlich. Warum schrieb man nicht einfach Tuch? Warum sagte man Delinquent? Weil man mittels der Sprache eine schmutzige Sache zu einem geradezu sterilen Akt machen konnte, darum. Die Heuchelei versteckte sich überall, auch beim Militär.
Er ging auf Tupu zu. Jeder Schritt kam ihm wie eine Ungeheuerlichkeit vor. Wie konnte er nur so etwas tun?
Aus Tupus Miene war der letzte Rest von Triumph oder Genugtuung für seine kleine Rache an Tristan verschwunden. Der junge Mann hatte nur noch Angst. Nackte, aufwühlende Angst vor dem Tod. Seine Gesichtsmuskeln zitterten, seine Beine trugen ihn kaum noch, seine braune Haut nahm einen seltsamen, grauen Ton an.
Das Sterben hatte nichts Heroisches.
Tristans Stimme versagte. Er hielt Tupu die schwarze Augenbinde hin, doch dieser achtete nicht darauf, sah panisch nach links, nach rechts, in die Höhe, so als reichten seine Blicke aus, ihm die Flucht zu ermöglichen.
Tupu bebte. Feine Schweißperlen bedeckten seinen Körper.
Für eine Sekunde kam es Tristan vor, als wäre er mit Tupu allein.
»Es ist so weit«, brachte er heraus.
»Es ist so weit?«, fragte Tupu nach. Noch immer huschten seine Blicke umher.
»Ja,
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