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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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ich einen Fehler gemacht habe, Ili. Und weil er einen Fehler gemacht hat. Wir haben beide viel zu lange auf das gehört, was andere uns sagten. Wir taten Dinge, die man von uns erwartete, die aber gegen alles waren, was unser Gefühl uns sagte. Und das ist falsch. Zwar kann auch ein Gefühl täuschen, aber dann hat man wenigstens seine eigenen Fehler gemacht und nicht die von anderen.«
    Mehr sprachen sie an diesem Tag nicht darüber. Als Ili die Schalen und Kerne der Papaya achtlos hatte zurücklassen wollen, sammelte Tuila sie ein. »Die sind für die Vögelchen in der Plantage.«
    Ili hatte sich gefreut. »O ja, o ja. So machen wir’s.«
    Hier oben meinte Ili noch heute, fast neunzig Jahre danach,
die Stimme ihrer Mutter in den Böen des Windes zu hören, und manchmal hatte sie sogar das Gefühl, ihrem Vater nahe zu sein an diesem Ort, an dem er damals ganz er selbst sein konnte, frei von jeglichem Zwang. Auf dem Mafane, davon war Ili überzeugt, war Tristan Samoaner gewesen.
     
    Heute blieb sie länger als gewöhnlich auf dem Felsen. Früher hatten ihr eine halbe Stunde oder sogar ein paar Minuten gereicht, um die spezielle Atmosphäre dieses Ortes einzuatmen wie ein kräftespendendes Tonikum. Ebenso gern, wie sie hier heraufgekommen war, war sie stets auch wieder hinuntergegangen zum Papaya-Palast, zur Plantage oder auf dem Rückweg vorbei beim alten Ben, um mit ihm zwei, drei Sätze zu wechseln und eine kava zu trinken. Heute dagegen saß sie schon seit zwei Stunden auf dem Mafane und glaubte, nie wieder von hier weggehen zu wollen.
    Am gestrigen Morgen war sie durch die beschädigten Räume des Papaya-Palastes gestreift. Die Küche war völlig verwüstet und würde komplett neu eingerichtet werden müssen, und über ihrem Schlafzimmer klaffte ein riesiges Loch. Zwei Balken waren zu Boden gestürzt und hatten das Bett im wahrsten Sinne des Wortes zu Kleinholz gemacht. Durch dieses Chaos zu laufen war noch einmal genauso schlimm gewesen wie das Feuer, das dazu geführt hatte.
    »Das sieht übler aus, als es ist«, hatte Evelyn im Brustton der Überzeugung gesagt. »Die Möbel sind zerstört, mehr nicht. Wenn wir das Löschwasser rausgekehrt und die Böden geschrubbt haben, ist das Gröbste geschafft. Ein paar neue Küchenmöbel, fertig. Und was das Bett angeht: In meinem Zimmer steht ein Doppelbett, darin haben wir vorläufig beide Platz – es sei denn, Sie wollen, dass ich gehe.«

    Davon konnte keine Rede sein. Ili, die Evelyn genau dieses fürsorglichen Verhaltens wegen vor ein paar Tagen noch angeblafft hatte, war jetzt dankbar dafür. Ohne sie würde alles noch schlimmer sein, als es schon war. Da Evelyn  – Ilis Gast! – am Morgen nach dem Brand angefangen hatte, zerstörte Gegenstände zu entrümpeln, konnte Ili als Hausherrin schlecht die Hände in den Schoß legen, also hatte sie mit angepackt, war danach in die Plantage gegangen und hatte die Schäden dort begutachtet, die glücklicherweise gering waren. Sieben Papayas waren völlig abgebrannt, bei drei weiteren waren Stämme oder Zweige schwarz angesengt, aber die würden sich wieder erholen – wenn man ihnen Zeit ließe. Mittags war ein Polizist vorbeigekommen und hatte eine Anzeige gegen Unbekannt aufgenommen; an seiner Mimik und dem Tonfall hatte Ili jedoch gemerkt, dass seine Nachforschungen, sollte er überhaupt welche betreiben, ins Leere laufen würden. So waren die Stunden verstrichen, und am frühen Nachmittag hatte Ili fast schon wieder das Gefühl gehabt, einen ganz normalen Arbeitstag zu bewältigen.
    In der Zwischenzeit hatte Evelyn sich einen Mietwagen besorgt und Lebensmittel eingekauft. Ili hatte amüsiert auf die Zusammenstellung geblickt: »Bananen, Tintenfisch in Dosen, Hühnerleber in Dosen, zwei Noni-Früchte, eine Yams-Wurzel … Es tut mir Leid, Evelyn, aber ich weiß beim besten Willen nicht, was ich daraus kochen soll.«
    Evelyn fuhr sich enttäuscht durch die Haare. »Ich stand wie ein Ochse vorm Scheunentor. Da war ein kleiner Supermarkt, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich kaufen sollte. Also habe ich irgendwas gegriffen.«
    Ili schmunzelte. »Nicht weiter schlimm. Ich glaube, es tut mir ganz gut, wenn ich mir das Elend mal ein paar Stunden nicht angucken muss. Kommen Sie, wir fahren noch einmal los.«

    Als sie unterwegs beim alten Ben vorbeigekommen waren, war er gerade dabei gewesen, die Vorhängeschlösser an seinem Geschäft abzumontieren, das sich seit sechzig Jahren dort befand. Dieser Anblick

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