Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
Vom Netzwerk:
musst du gehen.«
    Eine dumpfe Explosion, Schreie, ein Baum zersplitterte in Millionen Teilchen.
    »Ich muss zu den Männern«, sagte er. »Wenn ich ihnen keinen Befehl gebe, ziehen sie sich nicht zurück. Ich muss zu ihnen.«
    Er stieß sie von sich. »Geh endlich, Vögelchen. Geh.« Es klang wie ein Befehl. »Hörst du nicht? Denk an das Kind!«
    Sie hörte zu weinen auf, aber ihre Lippen zitterten. Und plötzlich ging ein Ruck durch sie, und sie sah Tristan fest und mit weit geöffneten Augen an, bevor sie sich umwandte und in den Wald lief.
    Sie drehte sich nicht mehr um.
    Als er sah, dass sie in Sicherheit war, ging er wieder in die Station. Dort griff er ein Gewehr, hielt es aus dem Fenster und schoss. Er schoss aufs Meer. Irgendwohin. Er konnte nichts sehen, denn seine Augen waren nass von Tränen.

    Als die Erde direkt vor der Station aufspritzte und ihm die Brocken um die Ohren flogen, befahl er den Rückzug.
    Er stürzte zur Tür.
    Eine Druckwelle zog ihm die Beine weg, und er spürte noch, wie sein Körper durch die Luft wirbelte.

8
    Samoa, November 2005
     
    »Er blieb irgendwo liegen und stand nicht mehr auf. Er war tot. Mein Vater war tot.«
    Evelyn, die die ganze Zeit über mit angewinkelten Beinen dagesessen und geschwiegen hatte, wartete drei Wellenschläge der Brandung, bis Ili fortfuhr:
    »Man hat ihn am nächsten Tag auf dem Friedhof der Europäer begraben. Tuila war die Einzige, die an seinem Grab stand, und meine Großmutter Vaonila verfolgte die kleine Zeremonie eines katholischen Priesters aus einiger Distanz, aber alle anderen vergaßen ihn. Wenn ich wenigstens etwas von ihm haben würde, irgendeine Erinnerung … Doch da ist nichts, da kann nichts sein. Nicht einmal ein Foto gibt es von ihm. Vielleicht verstehen Sie jetzt, wieso meine Mutter so viel Wert darauf legte, mir jede Einzelheit über ihn zu erzählen. Und zwar sehr oft, bestimmt zehnmal im Laufe der Jahre. Sie wollte, dass mein Vater ein Teil meines Lebens wird, und das hat sie erreicht. Dennoch …«
    »Die Erinnerung ersetzt ihn nicht, wie?«
    Ili lächelte sacht. »Sie verstehen mich. Das ist schön, Evelyn. Es hat sich gelohnt, Ihnen die Geschichte zu erzählen. Für mich jedenfalls.«
    »Für mich auch. Aber – sie ist ja wohl noch nicht ganz zu
Ende. Gab es eine Schlacht um Samoa? Was wurde aus Tuila? Und aus den anderen?«
    »Eine kurze Frage, die eine lange Antwort erfordert. Ob das jetzt die rechte Zeit ist? Wenn ich mit ›den anderen‹ anfangen darf… Eine Schlacht um Samoa gab es glücklicherweise nicht. Als man in Apia begriff, dass man es mit fünf neuseeländischen Kreuzern und einem britischen Schlachtschiff zu tun hatte, wurde die weiße Fahne gehisst. Der Gouverneur kapitulierte ohne vorheriges Gefecht. Die Neuseeländer sagten ihm ehrenvolle Behandlung und den Verbleib auf Samoa zu, doch kaum führten sie das Kommando, brachten sie ihn nach Neuseeland, wo er, nach allem, was wir nach dem Krieg hörten, in einer schäbigen Baracke untergebracht wurde. Oberst Rassnitz und die Beamten wurden nach Fiji in ein Internierungslager transportiert. Über der Residenz wehte fortan die neuseeländische Flagge. Obwohl das Leben für die Einheimischen wie eh und je weiterging und sie keinen vernünftigen Grund hatten, die Neuseeländer abzulehnen, kam es dennoch so. In anderen Kolonien mochten die Deutschen zwar schlechte Herren gewesen sein, doch in Samoa hatte man sie weitgehend akzeptiert.«
    »Sie erwähnten schon einmal so etwas. Ich kann es allerdings kaum glauben, wo die Deutschen damals doch so pedantisch und formell waren.«
    »So seltsam es klingen mag, meine Liebe: Gerade wegen ihres manchmal steifen und geradezu peniblen öffentlichen Auftretens achteten die Insulaner sie. Wissen Sie, Evelyn, wir Samoaner wirken zwar auf andere freizügig und wenig formell, aber unter dieser äußeren Hülle verbirgt sich ein ausgeprägtes Gefühl für Würde und völkische Tradition. Die Neuseeländer hingegen nahmen es nicht so genau mit ihren Umgangsformen und ihrer Kleidung. Da ihre Wollstoffe sich für das feuchte Wetter nicht eigneten, schnitten
sie sich einfach die Hosenbeine ab, und als das noch immer nichts half, liefen einige mit freiem Oberkörper und dem bequemen samoanischen lavalava bekleidet durch die Dörfer. Unsere Kleidung an anderen zu sehen, missfiel vielen Dorfhäuptlingen.«
    »Und was wurde aus den deutschen Siedlern und Kaufleuten?«
    »Alle männlichen Zivilisten wurden auf Samoa interniert. Die

Weitere Kostenlose Bücher