Der Duft der grünen Papaya
hatte Evelyn geholfen. Anfangs zweifelnd, ob dieser Vorschlag Ilis nicht bloß halb polynesischer, halb esoterischer Hokuspokus war, hatte sie sich schnell in das Schreiben des Briefes vertieft. Sie formulierte Dinge, die sie noch nie ausgesprochen, gestand sich Gefühle ein, die sie sich noch nie eingestanden hatte. Die Worte strömten aus ihrer Feder. Zwei Stunden schrieb sie, zu Beginn völlig durcheinander, jedem einzelnen Gedanken folgend, doch dann immer geordneter. Und schließlich, mitten im Brief, mitten in einem Satz, ließ sie den Stift sinken und spürte den Wunsch, Carsten anzurufen.
»Gut, dass du mir das Handy gegeben hast«, sagte sie. »Ich habe gerade an dich gedacht und dass wir uns noch mal zusammensetzen wollten.«
»Und ich denke andauernd an dich«, erwiderte er mit hoffnungsvoller Stimme.
Sie lächelte am Telefon. »Dann komme ich jetzt nach Apia, ja?«
Er zog die Luft durch die Zähne. »So ein Mist, ich habe gleich eine Besprechung mit – mit einigen Herren. Die wird bestimmt drei Stunden dauern.«
Carsten hatte offensichtlich Probleme damit, Ray Kettners Namen ihr gegenüber auszusprechen, und sie hatte diese Probleme aus ganz anderen Gründen ebenfalls. Ihm war es einfach unangenehm, dass sie in dieser Sache verschiedene Ansichten vertraten – ein unglücklicher Umstand, der allerdings bald beendet wäre, denn der Verkauf des Landes würde nicht stattfinden und die dadurch entstandene Rivalität zwischen ihnen beendet sein. Ihre eigenen Gründe dagegen würden fortbestehen, auch wenn sie sie am liebsten ungeschehen gemacht hätte.
Der heutige Abend sollte ein Stück Nähe und Vertrauen zwischen ihnen zurückbringen, auch wenn sie nicht wusste, wie so etwas vor sich gehen könnte. Aber sie wollte den Versuch dazu machen.
»Das macht nichts«, sagte sie gut gelaunt. »Wie wäre es dann mit heute Abend, sieben Uhr?«
»Prima«, rief er. »Das Aggie Grey’s hat ein vorzügliches Restaurant.«
Ihr war nicht nach Pianogeklimper und gediegenem Ambiente, nach Romantik und Melancholie zumute. Sie war – fast schämte sie sich dieses Gefühls – in Feierlaune. Sie wollte etwas tun, was sie schon sehr lange nicht mehr mit Carsten getan hatte: lachen.
»Ich möchte lieber in eine Bar«, sagte sie. »Ili hat das Ananas empfohlen, dort gehen vor allem Einheimische hin. Um acht Uhr? Dann kann jeder von uns vorher noch etwas essen.«
»Eine Bar?«, fragte er zögernd. »Ich weiß nicht recht, Evelyn.«
»Also abgemacht! Um acht Uhr im Ananas . Ich zahle. Ciao.«
Natürlich hatte sie sich zunächst gefragt, was Carsten gegen eine Bar einzuwenden gehabt hatte, aber jetzt, umgeben von den fast betäubenden Gerüchen des Gins, Rums und Mangolikörs, verstand sie seine Besorgnis – die allerdings unbegründet war. Der Alkohol, der stets nur den Zweck gehabt hatte, das Grau in ihrem Kopf zu färben, lockte sie nicht mehr, und der kühle Saftcocktail schmeckte ihr ausgezeichnet. Trotzdem war Evelyn nach Champagner zumute oder nach irgendetwas, das den besonderen Charakter dieses Tages unterstrich, des Tages von Ilis Sieg – und ein wenig auch von ihrem eigenen Sieg.
»Wollen Sie nicht doch mitkommen?«, hatte sie Ili vor ihrem Aufbruch nach Apia ein weiteres Mal gefragt. Sie hatten beide vor dem umu gesessen, dem Erdofen. Da die Küche nicht mehr funktionstüchtig war, hatte Ili ein kleines Feuer entzündet, Lavagestein erhitzt und in eine Mulde gelegt, anschließend Früchte, Taros und zwei im Netz gefangene Fische in Bananenblätter gewickelt und ein wenig Erde darauf geschichtet. Ein dünner Rauchfaden und der Duft der schmorenden Brotfrüchte und Bananen stieg in die Höhe.
»Ihr Mann wird sich bedanken, wenn Sie eine Einundneunzigjährige zu Ihrer Aussprache mitbringen«, sagte Ili lachend.
Evelyn widersprach: »Es wird keine Aussprache. Heute sollten wir es uns einfach mal gut gehen lassen, wir drei. Er ist sehr charmant, Sie werden ihn mögen. In unserer Frankfurter Nachbarschaft war er der Schwarm aller Rentnerinnen. Na ja, ich weiß, dass er auf der falschen Seite stand, aber das ist ja nun vorbei.«
»Darum geht es doch gar nicht«, wandte Ili ein. »Ich bin sicher, dass Carsten ein netter Mensch ist, und ich freue mich, dass es Ihnen so gut geht, Evelyn, ja wirklich. Und dass Sie ein wenig feiern wollen, ist der schönste Beweis dafür. Aber warum, in aller Welt, mit einer alten Schachtel wie mir?«
»Jetzt hören Sie sich fast schon an wie die Frau des deutschen
Weitere Kostenlose Bücher