Der Duft der grünen Papaya
ständig nur Geld zu verdienen. Dazu die Wärme, der Wald, die neugierigen Geckos, die überall herumf litzen, die frechen Loris, die unkomplizierten Menschen, das besondere Licht … Du solltest mal einen Sonnenuntergang an der Palauli Bay erleben. Das ist ein Erlebnis, das man nie vergisst.«
»Ich glaube«, unterbrach er ihre Schwärmerei, »dass man überall auf der Welt diese speziellen Erlebnisse und Empfindungen haben kann, wenn man sich nur auf sie einlässt.«
Sie nickte. »Selbstverständlich. Manchmal muss man aber aus der bekannten Welt heraustreten – und damit auch aus sich selbst –, um sich neu zu entdecken und das eigene Leben neu zu definieren. Mir ist es jedenfalls so ergangen. Was ich in der letzten Woche erlebt habe, sowohl an Tief- wie auch an Höhepunkten, hat mich aufgerüttelt. Ich habe angefangen, über ganz andere Dinge nachzudenken als in den letzten Jahren, als überhaupt in meinem bisherigen Leben.«
Ein kleines Mädchen kam vorbei, wahrscheinlich die Tochter des Barbesitzers, und verteilte scheu lächelnd Blumenketten an die Gäste. Evelyn bedankte sich, legte die Kette um den Hals und steckte eine der Blüten hinter das linke Ohr.
»Zum Zeichen, dass mein Herz vergeben ist«, erläuterte sie Carsten den Brauch. »Hat mir Ili erzählt.«
»Ich hoffe, ich muss das nicht nachmachen – obwohl mein Herz auch vergeben ist.«
Sie lachte. »Nein, es reicht, wenn du endlich das Sakko ausziehst und dir die Blumenkette umhängst.«
Während er ihrer Aufforderung folgte, bemerkte sie, dass der gemischte Tanz aufgehört hatte.
»Da du mich schon um den Tanz gebracht hast, könntest du jetzt wenigstens den Champagner bestellen.«
»Zu Befehl«, sagte er schmunzelnd, ging an die Bar und war gleich darauf wieder bei ihr. »Kommt in wenigen Minuten.«
»Zeit spielt hier angeblich keine Rolle«, entgegnete sie. »Allerdings ist das die einzige der samoanischen Weisheiten, die ich bisher nicht bestätigen kann. Ständig muss man ganz schnell irgendeine Fähre kriegen, um von A nach B zu gelangen, und gestern wäre ich beinahe von Ane über den Haufen gefahren worden, Moanas Enkelin. Tja, der geplatzte Verkauf bringt sie um ihren Lebenstraum. Aber
sie ist anpassungsfähig, denke ich. Sie wird ein paar Tage weinen und sich dann wieder damit begnügen, Touristen irgendwelche Vermittlungsgebühren abzunötigen. Ane wird’s verkraften, glaube ich.«
»Ich finde, du beschäftigst dich viel zu sehr mit dieser Familie, obwohl du sie kaum kennst. Lass uns über andere Dinge sprechen.«
Schelmisch grinsend schob er ihr einen Umschlag über den Tisch. »Für dich.«
Sie öffnete ihn, und heraus fiel – ein Flugticket.
»Ich habe gekämpft wie ein Löwe«, berichtete er stolz, »und tatsächlich zwei Wochen Urlaub bekommen. Zuerst ein paar Tage Sydney, habe ich mir gedacht, da waren wir noch nie. Und dann mit einem Cabrio die Küste entlang. Romantische kleine Hafenstädte, vielleicht ein Tauchkurs. Du fliegst morgen schon nach Sydney vor, damit du dir ein paar Sachen kaufen kannst. Und ich komme in drei Tagen nach, wenn hier alles erledigt ist. Na, wie hört sich das an?«
Sie hielt das Ticket in der Hand und wusste nicht, was sie sagen sollte. Er hatte sich solche Mühe gegeben, sie zu überraschen.
»Carsten, ich … es ist … mir fehlen die Worte.«
Er lachte. »Ist man gar nicht von dir gewohnt. Aber du freust dich, ja?«
»Ich freue mich über diese Geste von dir. Sie bedeutet mir sehr viel. Bloß – ich kann hier nicht weg.«
Er sah sie an wie ein Hund, der die Launen seines Herrn nicht versteht. »Wie, du kannst nicht?«
»Besser gesagt, ich will nicht. Noch nicht. Ich fühle mich hier wohl, sogar mehr als das, und ich spüre, dass es noch nicht an der Zeit ist abzureisen.«
»Und wann wird es an der Zeit sein?«, fragte er irritiert.
»Ich weiß nicht. Auf jeden Fall werde ich bis zu Ilis Geburtstag
im Dezember bleiben. Natürlich will ich, dass du auch bleibst. Wir nehmen uns das Cabrio, das du eigentlich für Australien gedacht hattest, und fahren damit über die Inseln. Du wirst staunen, was es hier alles zu sehen gibt: Lavafelder, Pyramiden, alte Kirchen, Traumstrände, Tauchriffe, Wildbäche und Wasserfälle. Robert Louis Stevenson ist auf Upolu begraben, du weißt schon, der mit der ›Schatzinsel‹, und sein Haus Vailima kann man besichtigen. Wir können uns auch ein Kricketspiel ansehen, wenn du magst – Kricket ist, zusammen mit Rudern, der Nationalsport in
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