Der Duft der grünen Papaya
in der Regierung hatte – wie bei Samoanern nicht anders zu erwarten – nicht dichtgehalten und die geplante Enteignung ausgeplaudert, bevor sie bekannt gemacht werden sollte.
»Jetzt bleibt dir und Moana nur noch die Möglichkeit, an den Amerikaner zu verkaufen«, stellte Ben abschließend fest. »Alles andere wäre dumm.«
Ili reinigte weiter den Erdofen.
»Hörst du nicht, Ili?«, beharrte Ben. »Ihr müsst gleich morgen verkaufen. Wenn du willst, rufe ich den Amerikaner von Salelologa aus an.«
»Das wird nicht nötig sein, Ben«, sagte sie, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. »Und nun setz dich zu mir oder fahr
wieder ab. Solange du da herumstehst, machst du den Vögeln Angst.«
»Verdammt, Ili, was kümmern dich denn jetzt noch die Vögel? Du musst retten, was zu retten ist.«
Gelassen sah sie ihn an. »Glaubst du denn wirklich, dass ich jemals meinen Namen unter ein Dokument setzen würde, welches vorsieht, dass alles, was mein Leben reich gemacht hat, verschwindet?«
»Mit dem Geld von dem Verkauf kannst du dir bequem ein anderes Haus kaufen, drüben auf der Nordseite.«
»Nein, das wäre nicht dasselbe, Ben, und das weißt du auch. Ich danke dir, dass du hergekommen bist, um mich zu warnen. Geh zu Moana und erzähle ihr alles, aber rede bitte nicht länger auf mich ein. Das wäre sinnlos.«
»Verdammt, bist du stur«, schimpfte er.
Und sie erwiderte: »Ich war nie anders, Ben.«
Ili hatte so etwas schon geahnt. Irgendwie hatte sie dem Sieg von Anfang an nicht getraut und gespürt, dass sie das Land trotz Moanas geändertem Entschluss verlieren würde. Es hatte in der Luft gelegen, im Wind, in den Wellen. Sie konnte es selbst nicht erklären. Es war, als hätte das Land mit ihr gesprochen.
Nicht nur deshalb war sie nicht mit Evelyn nach Apia gefahren. Da war auch noch der Streit zwischen Ane und Moana.
Sogar jetzt noch, in der Dunkelheit des Hauses, hing dieses Thema unausgesprochen zwischen Ili und ihrer Cousine.
Sie standen da, schweigend, und doch spielte sich etwas zwischen ihnen ab. Alles, was jemals im Papaya-Palast vorgefallen war, holte die beiden Frauen in dieser Nacht ein, und jede von ihnen ließ diese gewaltige Anzahl von Jahren an sich vorüberziehen.
Minuten vergingen.
»All die Jahre«, sagte Moana nach einer Weile. »All die vielen Jahre. Wie sind wir nur an diesen Punkt gekommen?«
Ili ließ nachdenklich einige Sekunden verstreichen. »Wir haben einen Schritt nach dem anderen gemacht, Moana.«
Moana schluckte. »Einen Schritt zu viel«, sagte sie.
Ili antwortete nicht.
»Wir hatten schlechte Voraussetzungen, oder?«, ergänzte Moana. »Alle diese alten Geschichten über Tupu und Tristan, die Feindschaft … Wir hatten von Anfang an keine Chance.«
Ili schüttelte den Kopf. »Das lasse ich nicht gelten, Moana. Das ist mir zu einfach.«
Moanas Kopf zitterte. Sie gab Ili die Kerze in die Hand und wandte sich zum Gehen. An der Tür zur Veranda blieb sie noch einmal stehen. »Übrigens, deine deutsche Freundin sitzt unten an der Bucht.«
Ili runzelte die Stirn. »Evelyn?«
»Es scheint ihr nicht gut zu gehen. Besser, du siehst nach ihr.«
Ili war nach dieser Begegnung mit Moana – einer Moana, wie sie sie nicht kannte – aufgewühlt, aber sie ging sofort zur Palauli Bay. Evelyn saß mit ausgestreckten Beinen am Strand, so dicht am Wasser, dass die Wellen ihre Fußspitzen berührten. Neben ihr stand eine Flasche Champagner im Sand, und die Bluse lag zusammengeknüllt auf ihrem Schoß.
Ili setzte sich neben sie. Obwohl Evelyn sie bemerkt haben musste, blickte sie starr über das Meer, oder das, was im matten Licht davon zu sehen war, und Ili tat es ihr nach. Sie saßen beisammen und schwiegen. Ab und zu hob Evelyn die Flasche zum Mund, trank einen Schluck und stellte
sie wieder in den Sand, ohne auch nur ein einziges Mal den Blick vom dunklen Horizont zu lösen.
Ili hätte sie einiges fragen können, um ein Gespräch zu beginnen, was zum Beispiel in der Bar vorgefallen war oder wie Evelyn es geschafft hatte, mitten in der Nacht von Upolu nach Savaii zu kommen. Doch Ili konnte sich diese Dinge ohnehin denken. Evelyns Zustand ließ ahnen, was geschehen war, und für hundert Dollar fand man immer einen Fischer, der selbst mitten in der Nacht Wassertaxi spielte. Alles das bedeutete nichts.
»Ist das Ihre erste Flasche?«, fragte Ili stattdessen.
Evelyn brauchte eine Weile für ihre Antwort. »Die zweite.«
»Na, dann haben Sie ja schon genügend
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