Der Duft der grünen Papaya
als Ili Hand in Hand mit ihrer Cousine Moana zum ersten Mal in die neue Missionsschule in Palauli ging, glaubte Tuila wirklich, dass von nun an alles besser würde.
Die Jahre des Weltkrieges waren schwer gewesen; sie hatten mit einer Tragödie begonnen und waren mit einer Tragödie zu Ende gegangen. Tristans Tod hatte sie in ein tiefes Loch gestürzt, und an die Monate bis zu Ilis Geburt hatte sie bis heute kaum eine Erinnerung. Sie wusste buchstäblich nicht, wie sie die Zeit überstanden hatte, eine Zeit, in der sie irgendwie funktioniert, nicht aber gelebt hatte. Dann, am 21. Dezember 1914, hatte sie ihr Mädchen im Arm gehalten, oder besser gesagt, sich an ihrem Mädchen festgehalten, an Tristans Tochter. Ili war der einzige Sonnenstrahl in einer ansonsten vollkommen dunklen Zeit gewesen.
Von Kampfhandlungen waren sie natürlich verschont geblieben; der eigentliche Krieg fand ganz woanders statt.
Die Auswirkungen dieses Krieges jedoch spürte auch Tuila. Samoas neue Herren, die Neuseeländer, kamen bald nach Ilis Geburt vorbei, weil sie erfahren hatten, dass ein Deutscher Eigentümer des Hauses und der Plantage war. Da sie sahen, dass seine Witwe eine Einheimische war, beschlagnahmten sie das Eigentum nicht, doch es vergingen nur drei Tage, bis sie erneut auftauchten und Fragen stellten. Jemand hatte ihnen einen Wink gegeben, dass der frühere Eigentümer, Tristan von Arnsberg, derjenige war, dem sie bei der Landung die vier Toten auf Savaii zuzuschreiben hatten. Sie durchsuchten das Haus nach Waffen oder Flugblättern, nach irgendetwas, das ihnen eine Handhabe verschaffen würde, den Besitz zu konfiszieren. Allerdings fanden sie nicht das Geringste, nicht einmal ein Bild oder Foto des verstorbenen Offiziers. Ein neuseeländischer Beamter, ein Mann, dessen Gesicht Tuila an einen Hai erinnerte, warnte sie: Sollte sie irgendwelche Sympathien für die Deutschen hegen, würde sie alles verlieren.
In Samoa gab es diese Sympathien tatsächlich. Natürlich war die deutschsprachige »Samoanische Zeitung« von den neuen Besatzern verboten worden, dafür kursierten gelegentlich einzelne Exemplare anderer deutscher Zeitungen auf den Inseln, Zeitungen aus dem Deutschen Reich. Man fand sie in Mülltonnen, in Obstkisten und an Stränden, manchmal nur wenige Seiten, manchmal vollständige Ausgaben, und niemand konnte sich erklären, wie sie nach Samoa gelangt waren. Insulaner kamen mit den Zeitungen zu Tuila, weil sie wussten, dass sie mit einem deutschen Offizier und Kriegshelden zusammengelebt hatte, und sie dachten, die junge Frau könnte ihnen helfen, das Geschriebene besser zu verstehen. Nun, Tuila verstand die Worte, aber nicht, was sie bedeuteten. Die meisten dieser Zeitungen waren älteren Datums, und sie berichteten von deutschen Siegen, von gewaltigen Schlachten, von Offensiven
und Gegenoffensiven und Luftkämpfen, von Ortsnamen und von Begriffen, mit denen weder sie noch irgendein anderer Samoaner etwas anfangen konnte.
Eines Tages, wieder einmal war jemand mit ein paar zerf ledderten Seiten zu ihr gekommen, entdeckte sie eine Todesanzeige: Graf Lothar von Arnsberg war gestorben, am 17. Februar des Jahres 1915. Seine beiden Söhne, stand da, Siegfried und Tristan, die sein Stolz gewesen waren, seien in der Erfüllung ihrer Pflicht für das Reich schon vor längerer Zeit in den Kolonien gefallen, ohne Frau und Kinder zu hinterlassen.
An diesem Tag beschloss Tuila, nach dem Krieg als Witwe Tristans vor ihre Schwiegermutter zu treten. Und sie wollte ihr Ili zeigen.
Von da an drängte sie den Kummer zurück und arbeitete jede freie Minute in der Plantage. Sie wollte, dass die Gräfin sich nicht schämen müsste, sondern einer erfolgreichen Plantagenbesitzerin gegenüberstehen würde, einer Frau, die Geld verdiente – was den papalagi ja so wichtig war – und allein und ohne Hilfe den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter bestritt. Ili sollte anerkannt werden als eine Arnsberg.
Die Papayabäume, die bisher mehr schlecht als recht gediehen waren, wurden fortan gepflegt und gehegt und wuchsen schnell über Tuilas Kopf hinaus. In den ersten Jahren, in denen es noch nichts zu ernten gab, brauchte sie keine Hilfe von Arbeitern, sondern sie machte alles selbst.
»Du arbeitest dich noch zu Tode«, sagte Vaonila manchmal. Sie kam ein- oder zweimal in der Woche und jeden Sonntag vorbei, und dann saßen sie auf der Veranda bei einer Schale kava und blickten in den noch von Tristan angelegten Garten, der gemächlich
Weitere Kostenlose Bücher