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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Make-up aufgelegt, die Haare weder gewaschen noch gebürstet, und die Wimperntusche hatte sie einfach trocknen lassen, so dass sie ihr stückchenweise abbröckelte. Ihr Gesicht war vom Weinen aufgedunsen wie das einer Schwangeren. Letzteres konnte sie allerdings nur vermuten, weil sie keinen Blick mehr in den Spiegel geworfen hatte, aus Angst vor dem, was sie darin erkennen würde. Sie ekelte sich auch so schon genug vor sich selbst. Was weder sie noch irgendjemand je für möglich gehalten hätte, war eingetreten: Ane Valaisi, die noch vor kurzem jeden Tag einen anderen Mann hätte haben können, die sich schon als neue Naomi Campbell gesehen und die Cocktails in schicken Bars getrunken und mit Raymond im Aggie Grey’s diniert hatte, sah aus wie eine Landstreicherin und saß in der übelsten Spelunke Apias.
    Doch war ihr momentanes Aussehen nur zum Teil an diesem Ekel schuld: Bilder schwappten wie Wellen in ihr Bewusstsein, Erinnerungen kamen hoch, bedrängten sie.
    Der Chinese verzog ein wenig den Mund, als er sich ihr gegenübersetzte.
    Wahrscheinlich, dachte sie, stinke ich nach ungewaschenen Klamotten und habe eine Bierfahne. Ich kann es heute wirklich mit den billigsten Nutten aufnehmen.
    Aber das war nun auch egal. Seit dem Streit mit Moana war es mit ihr immer weiter bergab gegangen: der geänderte Entschluss ihrer Großmutter, das Land nicht zu verkaufen, die Demütigung durch Raymond, die verlorene Zukunft als Model, Moanas Tod, das Auffinden der Leiche … Ein Schlag war auf den nächsten gefolgt, Tränen auf Tränen, bis sie nicht mehr klar denken konnte, bis zum Schock. Und als sie schon geglaubt hatte, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, berichtete Ili ihr von dem Testament. Bis dahin hatte sie bei allen geplatzten Träumen und schlimmen Erinnerungen wenigstens noch
etwas gehabt, nämlich ein Erbe, ein Sicherheitsnetz, das sie auffinge, egal, was die Zukunft bringen würde. Doch nun hatte sie plötzlich überhaupt nichts mehr. Das Land war nun allein Ilis Land, morgen schon das der Regierung, übermorgen das von Raymond, und letzten Endes bekäme Ili vielleicht einhunderttausend Dollar ausgezahlt, die sie für ein neues Haus ausgeben würde und dessen kläglicher Rest für ihren Lebensunterhalt draufginge.
    Und alles nur wegen Ilis Halsstarrigkeit, dachte Ane.
    »Guten Abend, Miss«, sagte der Mann.
    Ane wusste, dass Chinesen immer höflich waren, selbst solche vom Schlage ihres Gesprächspartners. Vor hundert Jahren waren sie von den Deutschen als Plantagenarbeiter nach Samoa geholt worden, heute bildeten sie eine regelrechte Wohlstandselite.
    Sie nickte. »Haben Sie sie?«, fragte Ane.
    Er stellte ohne eine Regung seines hohlwangigen Gesichts eine Pappschachtel auf den Tisch, mit einer Selbstverständlichkeit, als trüge er darin seine Schildkröte spazieren.
    »Hätten wir das nicht woanders erledigen können?«, fragte sie und blickte sich nach allen Seiten um.
    »Vierhundert Tala«, sagte der Chinese, ohne auf ihren Vorwurf einzugehen.
    Leute wie er jagten ihr einen Schauder über den Rücken. Früher war sie solchen Kerlen aus dem Weg gegangen, sie brachten nur Ärger. Heute konnte sie sich diesen Luxus nicht länger erlauben.
    Sie kramte in der Hosentasche und zog eine Hand voll Noten und Münzen hervor. Die Hände unter dem Tisch verborgen, zählte sie das Geld. Fünfzig, siebzig, neunzig …
    Mit vierhundertzwanzig Tala hatte sie den Papaya-Palast verlassen, kurz nachdem sie vom Testament erfahren hatte. Moana war noch nicht beerdigt worden, aber Ane
hatte sich in dem Haus, das noch nicht einmal für einen Tag ihr gehören sollte, nicht länger wohlgefühlt. Die Räume waren ihr mit einem Mal fremd und unheimlich vorgekommen, und sogar ihr eigenes Zimmer flößte Ane Unbehagen ein. Ihr erster Impuls war gewesen, zu Ili zu gehen und Sicherheit bei dem einzigen Menschen zu finden, der noch von ihrer Familie übrig war. Aber dann hatte ein diffuses Gefühl sie davon abgehalten, vielleicht Gewohnheit. Nein, dort hielt sie nichts mehr, das war nicht mehr ihr Zuhause, war es im Grunde nie gewesen. Also hatte sie das wenige Geld aus ihren eigenen und Moanas Schubladen gekramt und war gegangen, ohne zu wissen, wohin sie wollte.
    Evelyn, die ihr im Garten begegnet war, hatte ihr angeboten, sie mit dem Wagen zu fahren, wohin sie wollte; das hatte Ane jedoch knapp abgelehnt und stattdessen den ständig überfüllten Bus genommen. Eingeklemmt zwischen den Einheimischen war sie in der Tageshitze

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