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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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bis Salelologa gefahren und hatte dann die Fähre genommen. In Apia angekommen, hatte sie keine Ahnung, was sie nun tun sollte. Mit vierhundert Tala konnte man eine Menge anfangen, doch sie hatte weder Lust einzukaufen noch, Cocktails zu trinken.
    Auf einem Schild stand »Fagali’i 5 Meilen«, und plötzlich zog es sie dorthin. Der nächste Bus wäre erst irgendwann in einigen Stunden gefahren, und so lief sie einfach los, ohne nachzudenken. Die ganze Zeit über war sie vollkommen ruhig, keine Tränen wie in den Tagen zuvor. Sie war ausgepumpt, leer. So marschierte sie, Meile um Meile, den schwarzen Sandstrand entlang durch die laue Brandung. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als sie endlich den Steg der Perlenzucht in der Bucht vor Fagali’i sah. Zweihundert Meter vor der Küste ragten zwei notdürftig zusammengezimmerte Türme zwischen den gleißenden
Funken der im Wasser reflektierten Mittagssonne auf, und bei ihrem Anblick glitt eine kurze Ahnung von Lächeln über Anes Lippen.
    Am Ufer stand ein alter Mann, dünn, mit Rippen wie die diagonalen Falten eines Tuches.
    »Ist das die Zucht von Joacino?«, fragte sie.
    Der Alte nickte.
    »Ich möchte ihn besuchen.« Joacino war der Einzige, den sie in diesem Moment sehen wollte.
    »Ist nicht da«, sagte der Alte.
    »Nicht da«, wiederholte sie.
    »Ist gestern in den Osten gefahren, Verwandte besuchen. Morgen kommt er wieder zurück.« Er musterte sie neugierig. »Wer bist du?«
    Für einige Augenblicke nahm sie Dinge um sich herum wahr, die sie schon seit Jahren nicht mehr bemerkt hatte: die harmlosen, schwarzen Sandkäfer, die über den Strand liefen, die eleganten Flugmanöver der kreischenden Albatrosse, den salzigen Geruch, der von den Booten ausging, das Spiel des Lichts auf den Kokospalmen.
    Es blieb ein kurzer, trügerischer Moment.
    »Stimmt was nicht?«, fragte der Alte.
    Sie ging ohne ein Wort davon, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Ihre Füße schmerzten, doch sie stapfte unverdrossen weiter, die sinkende Sonne im Gesicht.
    Der Gedanke kam ihr, dass das Schicksal sie aussaugen, ausspucken und vergessen wollte. Es nahm ihr alles, einfach alles, Land, Haus, Heimat, Familie, Raymond, Zukunft. Und gab ihr nichts. Das Schicksal wollte sie brechen.
    Jäh kochte Widerstand in ihr auf. Wieso ließ sie das alles mit sich machen, so als wäre sie Treibholz? Warum durfte man so mit ihr umspringen? Warum wehrte sie sich nicht, kämpfte nicht?

    Sie beschleunigte den Schritt, obgleich der Schmerz in ihren Gelenken pulsierte. Es war so leer in ihr, dass dieses Gefühl des Widerstands mit jeder Minute stärker wurde und immer breiteren Raum einnahm. In Apia endlich hatte sie sich entschlossen.
    Als Erstes war sie in eine Spielbar gegangen und hatte nach einigem Herumfragen jemanden gefunden, der ihr für zwanzig Tala ein Geschäft vermittelte. Er hatte ihr eine Kneipe genannt, in der sie auf einen Chinesen warten sollte. Lange vor der Zeit war sie schon dort gewesen und hatte ein Bier nach dem anderen getrunken sowie eine halbe Schachtel Zigarillos geraucht.
    »Vierhundert«, fragte sie jetzt nach. Ihr Vorhaben machte sie nervös, und sie musste das Geld dreimal nachzählen, bevor sie wusste, wie viel sie in der Hand hatte. Fährgeld, Zigaretten und Bier hatten am Budget gezerrt.
    »Ich habe noch exakt dreihunderteinundsechzig Tala und vierzig Sene«, sagte sie.
    »Der Preis ist vierhundert«, beharrte der Chinese ohne besonderen Nachdruck. Es war ihm offensichtlich egal, ob das Geschäft zustande kam oder nicht.
    »Wenn ich aber doch nicht mehr habe?«
    »Miss, wir sind hier nicht auf dem Fischmarkt. Sie können mir vierhundert Tala geben oder es lassen. Bitte, entscheiden Sie sich jetzt gleich. Ich habe noch einen anderen Termin.«
    Das hinterhältige Schicksal versuchte also erneut, ihr ein Bein zu stellen, doch diesmal war sie entschlossen, sich durchzusetzen.
    Sie zog ihren einzigen Ring vom Finger und warf ihn wie eine Spielkarte auf den Tisch.
    Die Augen des Chinesen richteten sich auf das Schmuckstück, ohne dass er sich rührte. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bevor er sagte: »Gut. Geben Sie mir
noch dreihundertsechzig Tala, dann ist das Geschäft komplett.«
    Der Ring war weit mehr als vierzig Tala wert, aber sie wollte es hinter sich bringen. Zu einem Bündel gerollt, übergab sie das Geld und warf einen Blick in die Pappschachtel. Als sie aufsah, ging der Chinese gerade zur Tür.
    Anes Herz klopfte bis zum Hals. Sie

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