Der Duft der grünen Papaya
Beste, alles so zu belassen, wie es ist.«
»Das geht nicht. Dafür ist es auch viel zu spät.«
»Lassen Sie mich raten: Ray Kettner plant, ein Hotel auf Ilis Land zu bauen.«
»Auf Ilis und Moanas Land«, korrigierte Ane. »Bitte, ich will nicht, dass Sie mich für egoistisch halten, denn es geht dabei ja um viel mehr als nur ein Hotel. Für den Bau werden Arbeitskräfte gebraucht, und später können bestimmt dreißig oder vierzig Leute ihr Geld als Hotelpersonal verdienen. Für viele bedeutet das eine echte Chance voranzukommen. Samoa kann doch nicht ewig so rückständig bleiben wie jetzt. Das wird es aber, solange Landbesitzer wie Ili sich dem Fortschritt entgegenstellen. Darf denn eine einzige Frau verhindern, dass die Menschen Arbeit finden, dass sie neue Berufe erlernen, dass sie sich der Welt öffnen? Ich meine, nein.«
Dem konnte Evelyn nicht ehrlichen Herzens widersprechen. »Da ist etwas dran, ja. Sicher werden sich alle Völker und Gesellschaften nach und nach ändern, die Frage ist nur, ob das Tempo und die Richtung stimmen. Nach meinem Verständnis sollte Ili solange dort wohnen bleiben, wie sie möchte. Was die nächste Generation dann mit dem Land macht, ist ihre Sache.«
»Sie haben gut reden, Evelyn, denn Sie kommen aus einem reichen Land voller Chancen. Samoa ist das Gegenteil davon. Und was das Warten angeht: Raymond will nun einmal jetzt ein Hotel bauen, nicht in fünf oder zehn Jahren.«
»Und ich soll Ili davon überzeugen, obwohl ich sie gerade mal einen Tag kenne?«
»Wie gesagt, sie mag Sie anscheinend. Bei Ihnen wird sie bestimmt weniger abweisend reagieren. Bitte versuchen Sie’s. Damit würden Sie mir einen großen Gefallen tun. Und ganz Samoa dazu.«
Evelyn schob den Teller ein Stück weg und lehnte sich zurück. Der Appetit verging ihr, wenn sie daran dachte, was aus diesem schönen, stillen Haus und der Plantage werden würde, wenn dort ein Hotel stand. Vor ihrem geistigen Auge entstand so etwas wie der Bongo Beach Club, in dem sie fast gelandet wäre, vermutlich eine Dreihundert-Betten-Anlage mit Poolbar, Hulamusik und wild umhertanzenden Animateuren in Papageienkostümen. Andererseits verstand sie natürlich, dass ein Land neue, lukrative Einkommensquellen erschließen wollte, um Schulen bauen, Fortbildungsprogramme finanzieren und Arbeitsplätze schaffen zu können.
»Und Ihre Großmutter«, fragte Evelyn. »Was sagt die dazu?«
»Oh, sie ist mit allem einverstanden und zieht in eine Art Heim in Apia, ja, sie war sogar regelrecht begeistert, als sie von dem Projekt erfuhr. Sie sieht ein, dass es Zeit ist, die Zelte abzubrechen, wie man in Ihren Breiten so schön sagt. Raymond und sie sind sich vorhin handelseinig geworden, und ob es Ili gefällt oder nicht, sie muss das Land verlassen, denn sie kann es allein nicht behalten. Übrigens«, fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu, »der Vorschlag, Sie mit Ili reden zu lassen, kam von Raymond.«
»Oh!«
»Er fand, dass Sie die nötige Sensibilität dafür mitbringen. Ich stehe Ili nicht allzu nahe, und Raymond – ich sagte ja schon, er kommt aus Wyoming. Das drückt eigentlich schon alles aus.«
Evelyn hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, denn sie hatte die alte Dame lieb gewonnen, ihre warme Stimme, die Augen, die schon so viel gesehen hatten, die Erzählungen … Und sie hatte tatsächlich das Gefühl, dass Ili sie auch mochte. Im Grunde sollte sie im Papaya-Palast leben und irgendwann sterben dürfen. Aber sie verstand auch Ray, und wenn er sie für geeignet hielt, als eine Art Diplomatin zu fungieren – wieso nicht? Von irgendjemandem musste Ili ja erfahren, was vor sich ging.
»Also gut, Ane, ich rede mit ihr.«
»Super!« Ane rutschte freudig auf dem Sessel herum. »Dafür fahre ich Sie, sooft Sie wollen, über die Insel, zum – na sagen wir – halben Preis.«
Evelyn traf nach der Rückkehr vom Ausflug Ili am Rand der Plantage an, wo sie gerade Futter für die Loris auswarf. Ein buntes Dutzend kam zwischen den Blättern hervor und näherte sich hüpfend dem ausgestreuten Obst und den Kernen. Einige blieben in respektvollem Abstand, aber andere kamen ganz dicht an Ili heran und schienen sogar über Blicke, die Kopfhaltung und einzelne Laute mit ihrer Gönnerin zu kommunizieren. So wie andere Leute mit Hunden oder Katzen sprachen, unterhielt Ili sich mit ihren Vögeln, und sie lächelte dabei.
Als Evelyn sich neben Ili auf die Matte setzte, flatterten einige Loris davon, die meisten jedoch
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