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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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knabberten munter weiter.
    »Hallo, Evelyn, wieder zurück? Schauen Sie nur: Die Vögel sehen in Ihnen keine Gefahr. Sie spüren, dass Sie es gut
mit ihnen meinen. Glauben Sie mir nicht? Ich sage Ihnen, an Moana und Ane wagte noch kein Vogel näher als zehn Fuß heranzukommen, außer er lag gebraten vor ihnen auf dem Teller. Ich finde, das spricht Bände.« Ili merkte wohl, dass mit Evelyn etwas nicht stimmte. »Hatten Sie keinen schönen Tag? Wohin hat Ane Sie gefahren?«
    Es war eine idiotische Idee gewesen, sich darauf einzulassen, dachte Evelyn jetzt und bekam kalte Füße. Nur, weil ich einem Mann, den ich kaum kenne, einen Gefallen tun will.
    »Wir waren an den Blowholes. Und vorher auf dem Friedhof der Europäer. Ich habe Tristans Grab gesehen. Die Inschrift ist zerkratzt, Ili.«
    Ili nickte, wie zu etwas Unabänderlichem. »Dann hat Moana dem Grab einen Besuch abgestattet. Einmal im Jahr lasse ich die Gravur erneuern, aber sie zerkratzt sie immer wieder. Ane bringt sie dorthin.«
    »Das ist ja makaber.«
    »Dieses Wort kennt Moana nicht. Und Ane muss tun, was ihre Großmutter ihr sagt. Unter diesem Gesichtspunkt verstehe ich sogar, dass sie von hier fortwill. Ihre Mutter hat sie nie kennen gelernt, und ihren Vater …« Ili brach ab.
    »Was war mit ihrem Vater?«
    Ili wählte ihre Worte sorgfältig. »Er … er starb, als sie noch ein Kind war. Es war ein großer Schock für sie. Wie auch immer, sie wuchs bei Moana auf, und wenn man diese Tatsache in Rechnung stellt, muss man sagen, dass Ane alles in allem ganz in Ordnung ist. Mit ihrer Großmutter ist sie jedenfalls nicht zu vergleichen.«
    Einer der Loris hüpfte auf Ilis Zeigefinger und zwitscherte munter.
    »Vielfraß«, sagte Ili vorwurfsvoll und schob ihm eine Nuss zu, die er genüsslich in seinem Schnabel hin und her
drehte. »Wo war ich stehen geblieben, Evelyn? Ach ja, Ane.«
    »Über Ane wollte ich gerade mit Ihnen sprechen«, fiel Evelyn ihr ins Wort. Sie wollte das, was sie versprochen hatte zu sagen, so schnell wie möglich hinter sich bringen.
    Evelyn berichtete Ili alles. Sie schaffte es, Ray Kettners Vorhaben in wenigen Sätzen zu umreißen, und von da an ging alles rasend schnell. Ilis sonst so freundliches, warmes Gesicht nahm einen geradezu starren Ausdruck an, und noch während Evelyn sprach, stand sie plötzlich wortlos auf und ging mit schwerem, raschem Schritt auf Moanas Flügel des Papaya-Palastes zu. Evelyn, unsicher, was sie tun solle, folgte ihr nach einigem Zögern. Irgendwie fühlte sie sich verantwortlich für Ili.
    »Ili!«, rief sie, als sie sie eingeholt hatte. »Ili, bitte warten Sie einen Augenblick. Vielleicht sollten Sie sich erst einmal beruhigen, bevor Sie mit Ane sprechen.«
    »Ich habe nicht vor, mit Ane zu sprechen.«
    Unbeirrt von allen Einwürfen, betrat Ili die linke Hälfte des Hauses. Man merkte ihr an, dass sie schon sehr lange nicht mehr in dieser Wohnung gewesen war, denn sie musste sich einen Augenblick orientieren, bevor sie entschlossen weiterging.
    Evelyn, die ihr folgte, fiel sofort der Unterschied der Räume auf. Die spartanische Einrichtung glich zwar der in Ilis Teil – ein paar Truhen, Kommoden und Matten –, doch es fehlte der würzige Duft der Trockenkräuter und die frische Farbe der Blumen. Alles war nur auf das Notwendigste beschränkt, Dekorationen gab es nicht, und die Strohmatten vor den Fenstern verhinderten, dass mehr Licht hereinkam als nötig war, um nicht zu stolpern.
    Sie trafen auf Ane, allerdings ging Ili einfach an ihr vorbei.
    »Evelyn, was ist los?«, fragte die junge Frau verblüfft.
    »Ich habe Ili von Ihrem Vorhaben erzählt.«
    »Konnten Sie sie überzeugen, in ein Heim zu gehen?«
    Sie fand diese Frage ziemlich überflüssig. »Danach sieht es nicht aus, oder?«
    Evelyn verschwieg, dass sie diesen Teil im Gespräch mit Ili absichtlich weggelassen hatte, und ersparte sich auch jede weitere Erklärung, denn Ili hatte gefunden, wonach sie suchte, und hatte bereits begonnen, für sich selbst zu sprechen.
    »Von allem, was du in deinem Leben getan hast, Moana, ist dies am dümmsten und abscheulichsten.«
    Moana saß auf einem alten Korbstuhl und schnitt Taro in großen Würfeln in eine Holzschüssel. Sie wirkte wie jemand, dem man soeben einen lange gehegten, dunklen Wunsch erfüllt hatte.
    »Du verkaufst das Land?«, rief Ili und baute sich vor Moana auf. »Das Land unserer Mütter, das Land, wo wir jeden einzelnen Tag unseres Lebens verbracht haben, wo unsere Männer

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