Der Duft der Mondblume
»Warum hat dich dein Verleger nicht ins Penthouse von so einem Glasturm gebucht?«
»Weil es nur ein kleiner Verlag ist und weil ich im Moonflower absteigen wollte. Oh, da ist Kiann’e!« Catherine lief auf ihre schöne Freundin zu, um sie zu umarmen. Kiann’e stand mit Leis in der Hand lächelnd da – es war, wie es immer gewesen war. Als Catherine die Nase in die cremefarbenen Frangipani- und Pikakeblüten steckte und ihren Duft einsog, wurde sie von Erinnerungen und Gefühlen überwältigt, die sie nur auf Hawaii befielen.
Auf dem Weg vom Flughafen zu Kiann’es Haus bestritt Mollie die Unterhaltung ganz allein. Aber selbst sie war erstaunt über den Wandel von Oahu, die verstopften Schnellstraßen, die Hochhäuser, die Wohnanlagen, die sich die Hügel hinaufzogen, die Einkaufszentren, Touristenrestaurants und Ferienanlagen.
Catherine war froh, dass Mollie für sie beide redete, denn sie selbst brachte kein Wort heraus. Es hatte sich so viel geändert, manche Plätze waren nicht wiederzuerkennen, andere wirkten aber immer noch sehr vertraut.
Als sie in die ruhigeren Straßen von Kiann’es Wohnviertel einbogen, atmete Catherine tief durch. »Zumindest manche Dinge sind gleich geblieben. Du wohnst mit Willi noch im selben Haus?«
»Ja. Aber ich habe auch das Haus meiner Mutter auf Kauai geerbt. Die Töchter von Hawaii haben es restauriert, und jetzt ist es eine Art lebendes Museum mit ausgewählten Schätzen. Wir halten immer noch unsere Treffen dort ab, und es ist auch der Sitz unserer Unabhängigkeitsbewegung.«
»Seid ihr vorangekommen?«, erkundigte sich Catherine.
»Ja und nein. Senator Akaka hat im Jahr 2000 einen Gesetzentwurf eingebracht, dass eingeborene Hawaiianer einen ähnlichen Status erhalten sollen wie die amerikanischen Ureinwohner, aber er wird immer wieder zurückverwiesen, um hier noch abgeändert und da noch modifiziert zu werden«, antwortete Kiann’e. »Aber wenn er erst einmal verabschiedet ist, haben wir den Fuß in der Tür, Entschädigung und Wiedergutmachung werden hoffentlich folgen.«
»Worum geht es da?«, fragte Mollie.
»Das Gesetz erkennt die politische Verpflichtung der US -amerikanischen Regierung gegenüber den Menschen an, die seit Jahrhunderten auf diesen Inseln leben. Traurige Tatsache ist nämlich, dass typische Folgen sozialer Missstände bei hawaiianischen Ureinwohnern überdurchschnittlich häufig anzutreffen sind.«
»Was heißt das?«, fragte Catherine.
»Drogensucht, Obdachlosigkeit … Nullbockgeneration, Arbeitslosigkeit und so weiter. Alles ist in Schieflage. Mutter hat immer vorausgesagt, dass dies eintreten würde«, erklärte Kiann’e.
»In Schieflage. Ich erinnere mich, dass Abel John davon gesprochen hat«, überlegte Catherine. »Und er sprach von der notwendigen Balance zwischen Männern und Frauen, Individuen und der Gemeinschaft. Dass die Gesellschaft ohne ein solches Konzept ihre Richtung verliert. Wie ein Kanu ohne Paddel oder Segel. Wie geht es denn Helena und den Kindern?«
»Die sind natürlich erwachsen geworden. Der älteste Sohn hat studiert und arbeitet jetzt bei uns mit. Er ist eine echte Führungspersönlichkeit. Die Jüngeren erinnern sich nicht mehr an ihren Vater. Dafür aber wir«, sagte Kiann’e leise.
Später fuhr Kiann’e mit Catherine und Mollie zum Moonflower, wo sie immer noch hin und wieder tanzte. Um der alten Zeiten willen aßen sie zusammen mit Willi und Kiann’es zwei inzwischen erwachsenen Kindern im Hotelrestaurant zu Abend.
»Als meine Kinder gehört haben, dass ich mit Catherine hierherfahre, musste ich ihnen versprechen, nächstes Jahr ein Familientreffen auf Hawaii zu organisieren«, erzählte Mollie.
»Sag unbedingt Bescheid, wann ihr kommt, damit wir uns treffen können«, regte Kiann’e an.
Am nächsten Tag besuchte Catherine ihren Verleger, der sie zu ihrem Buch beglückwünschte und die Details der Buchvorstellung mit ihr besprach, die auf der großen Terrasse des Moonflower stattfinden sollte. Vince, der nur noch gelegentlich für die
Hawaii News
arbeitete, hatte Vergrößerungen der Fotos, die Catherine vor all den Jahren für seine Zeitung gemacht hatte, und außerdem etliche Seiten aus dem Buch über Lester in Plakatgröße geliefert. Sie würden die Veranstaltung passend einrahmen.
»Wissen Sie, Catherine, als Vince mir Ihre Fotos brachte und ich Ihre Artikel dazu gelesen habe, ging mir die Idee zu einem neuen Buch durch den Kopf. Hätten Sie nicht Lust, das Hawaii der siebziger Jahre
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