Der Duft der Mondblume
wissen, was Sie da tun? Gehen Sie nicht zu weit raus, hinter der Brandung ist Seegang. Bleiben Sie in der Nähe, hören Sie?«
Doch Catherine ignorierte ihn, während ihr ein Bursche das Board holte. Sie nahm es gründlich in Augenschein, fuhr mit den Händen längs darüber und untersuchte, wie es gearbeitet war. Es handelte sich um schnell gefertigte Massenware, nicht zu vergleichen mit den Brettern, die Lester und PJ in stundenlanger Handarbeit hergestellt hatten.
Kurz dachte sie, dass sie etwas völlig Verrücktes tat, und wünschte, sie hätte sich nicht von dem arroganten jungen Schnösel provozieren lassen. Doch da er hinter seiner verspiegelten Sonnenbrille immer noch unverhohlen grinste, nahm sie wortlos das Board und trug es ins Wasser, stellte sich daneben und wartete eine Weile. Ruhig beobachtete sie das Meer, und schon bald hatte sie den jungen Mann, die Touristen und die schreienden Kinder um sich herum vergessen. Ihre Aufmerksamkeit war allein auf die Wellen gerichtet.
Dann paddelte sie mit dem Board durchs seichte Wasser, tauchte unter der niedrigen Brandung durch und weiter hinaus, wo sich die Dünung aufbaute. Binnen Minuten fand sie zu Rhythmus und Gleichgewicht. Es ist wie Fahrrad fahren, dachte sie. Der Körper verlernt es nicht.
Außer ihr waren mehrere Männer und zwei junge Frauen draußen. Sie schauten zu Catherine hinüber, waren aber weit genug entfernt, um ihr nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Zwar war sie nicht mehr so fit wie früher, aber immer noch rank und schlank, und sie hatte schon immer viel Kraft gehabt. Mit ihren zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren konnte sie aus der Ferne gesehen jeder Altersklasse angehören.
Catherine entschied sich für eine harmlose Welle und schaffte es aufs Brett, wenn auch mit wackligen Knien – ihre Beine waren nicht mehr so durchtrainiert und ihre Füße nicht mehr so trittsicher wie früher. Kurz ritt sie die Welle, brach dann ab und paddelte weiter hinaus, wo sie sich nun, da sie wieder genug Selbstvertrauen hatte, an größere Wellen wagte.
Sie surfte beinahe eine Stunde lang, und als sie zurück zum Strand paddelte und dem Rettungsschwimmer das Board zurückbrachte, zitterten ihr die Beine und die Arme schmerzten. Aber sie war wie berauscht. Und ignorierte das verblüffte Staunen des Rettungsschwimmers, als sie den Leihschein abzeichnete. Dann ging sie zu Mollie, die unter dem Sonnenschirm döste. Neben ihr stand ein leeres Cocktailglas, in dem irgendetwas mit Kokosmilch gewesen war, eine Kirsche und ein Ananasstück steckten noch am Schirmchen.
Als sich Catherine auf der freien Liege niederließ, öffnete Mollie ein Auge. »Und? Warst du draußen?«
»Klar doch. Und jetzt bin ich völlig geschafft«, lachte sie.
Mollie setzte sich auf. »Willst du damit sagen, du warst surfen und hast mir nicht Bescheid gesagt? Ich wollte dich fotografieren! Also los, noch einmal.«
»Keine Chance. Meine Tage als Surferin sind gezählt. Einmal alle dreißig Jahre reicht.« Doch sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Allerdings war es toll zu erleben, dass ich es noch kann. Und diesem Schnösel von Rettungsschwimmer hab ich’s gezeigt. Was trinkst du da?«
»Mauna Kea Fantasia. Der haut dich um. Vor dem Surfen streng verboten.« Mollie hob die Hand und winkte eine hübsche Bedienung in Shorts und Alohahemd herbei. »Noch einmal zwei davon, bitte.«
»Hier ist die Abzweigung. Himmel, es sieht noch fast genauso aus, nur dass die Straße inzwischen asphaltiert ist.«
»Na ja, die Mitte. An der Seite ist es eine alte Sandpiste, und ein Fußgängerweg ist auch nicht vorhanden«, sagte Mollie, als sie die Hauptstraße von Hanapepe entlangfuhren. »Verflixt, noch mehr Hühner! Überall Federvieh auf dieser Insel, ob vor Geschäften, auf Parkplätzen oder am Strand.«
»Ja, ganz erstaunlich. Aber halt doch mal an und lass uns ein paar Schritte zu Fuß gehen. Du meine Güte!« Catherine war hingerissen, als sie sah, dass sich die winzige Ortschaft kaum verändert hatte. »Oh, sie haben die alte Billardhalle renoviert. Und es gibt ein paar Galerien und Geschäfte mehr.«
»Ein verschlafenes Nest. Aber niedlich«, urteilte Mollie, die ebenfalls aus dem Auto gestiegen war und Catherine folgte.
Vor einem farbenfrohen zweistöckigen Haus blieb Catherine stehen. »Das ist das Joss House. Und das kleine Café dort war Molo’s.«
Mit Mollie im Schlepptau steckte Catherine ihre Nase in alle Läden und Galerien, die geöffnet hatten.
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