Der Duft der Mondblume
Außer ihnen war niemand auf der Straße, nur ein paar Hühner pickten in der Gosse. Sie fragte den Mann in dem Café hinter dem Tresen, ob er etwas von Molo wüsste.
»Ja«, nickte er. »Er hat ein Haus oben auf dem Berg, gleich neben japanischem Friedhof. Aber jetzt ist er auf dem Festland. Kommt nächsten Monat wieder.«
»Würden Sie ihm bitte eine Nachricht von mir geben, wenn Sie ihn wiedersehen?« Catherine kritzelte ein paar Worte auf einen Block, den ihr der Mann reichte.
»Sie sind alte Freundin von Molo?«
»Ja. Ich hab mal hier gewohnt, ein Stück die Straße hinunter, im Joss House. Kennen Sie auch Miranda? Sie hatte dort eine Galerie. Eine sehr attraktive Frau mit roten Locken.«
Er schüttelte den Kopf. »Aber es gibt viele Frauen hier. All die Kunstläden werden von Frauen geführt.« Er grinste.
»Wie kommt es, dass hier überall Hühner herumlaufen?«, erkundigte sich Mollie.
»Die sind bei dem Hurrikan Iniki abgehauen, 1992 . Möchten Sie ein Souvenir mit Huhn?« Er zeigte auf Postkarten, Kaffeebecher und Geschirrtücher, die alle von Hühnern geziert wurden.
»Nein danke, wir haben schon genug Federvieh gesehen«, lehnte Mollie ab.
Die alte Hängebrücke über den Fluss war erst vor kurzem repariert worden, aber Mollie weigerte sich trotzdem, die schwankende Überführung zu betreten. Sie bewunderten ein Haus, bei dem Kunstgegenstände in die exzentrische Architektur eingebunden waren. Die Ladefläche eines alten schwarzen Pick-up mit aufgemalten züngelnden Flammen war mit Erde gefüllt, aus der Kaskaden scharlachroter Bougainvillea quollen.
Dann fuhren sie den Berg hinauf und machten vom dortigen Aussichtspunkt aus weitere Fotos vom Meer.
»Noch etwas?«, fragte Mollie.
»Ich glaube, nein. Wobei ich die ganze Zeit damit rechne, Leuten zu begegnen, die noch genauso aussehen wie damals.«
»Zumindest ist der Ort hier nicht unter Beton begraben. Aber nun auf zu Tante Lani. Dort warten sie sicher sehnlichst darauf, dass du dich endlich blicken lässt.«
Das Häuschen lag neben einer kleinen Plantage im Schatten hoher Klippen, in die Wind und Regen rote und grüne Wirbel gemeißelt hatten. Eine einsame Kokosnusspalme nickte ihnen vom Eingangstor zu.
Als sie vor dem Haus hielten, erwarteten die alten Leute sie bereits. Onkel Henry hatte inzwischen einen krummen Rücken und graue Haare, aber Tante Lani war dasselbe Energiebündel wie eh und je.
»Ich habe dem Onkel von deiner Party erzählt, Catherine. Er liebt dein Buch.«
»Es hat mich so gefreut, dass du nach Honolulu gekommen bist«, sagte Catherine. »Schade, dass du nicht dabei sein konntest, Onkel.«
Er lächelte sie strahlend an, seine Augen glänzten, und er brachte kein Wort heraus, als er sie umarmte.
Zusammen setzten sie sich auf die Veranda mit Blick auf die grandiosen Berge.
»Fühlst du dich nicht einsam hier draußen, Tante? Es ist ziemlich abgelegen.« Catherine dachte an das Haus am Strand in Oahu, wo stets so viele Menschen ein und aus gegangen waren, wo es immer Essen und Musik oder gleich eine richtige Party gegeben hatte.
»Dieses Grundstück wurde uns zugeteilt. Weil wir Hawaiianer sind«, erwiderte Tante Lani. »Es ist jetzt unser Land, niemand kann es uns wegnehmen. Wir haben einen Pachtvertrag über neunundneunzig Jahre, so dass auch noch unsere Kinder hier wohnen können.«
»Falls sie hier wohnen wollen«, sagte Onkel Henry. »Aber es ist gar nicht so weit von Beatrice’ Haus entfernt, und wir kriegen immer noch jede Menge Besuch. Allerdings vermisse ich meine Kinder in Oahu.«
»Kiann’e kommt aber bestimmt oft hierher, oder?«, fragte Catherine.
»Ja, schon. Inzwischen ist sie eine sehr wichtige Persönlichkeit auf den Inseln geworden. Sie wird uns die Unabhängigkeit bringen. Aber jetzt müsst ihr Mädchen die Haupia-Torte aufessen.«
Die Zeit verging wie im Flug. Bei Mollies Witzen und Geplänkel kicherte der Onkel wie ein Schuljunge. Immer wieder schlug er sich auf die Knie und schüttelte den Kopf.
»Bring das Mädchen wieder her, Catherine. Die ist die reinste Medizin.«
Als Mollie die Teller ins Haus trug und der Onkel ihr folgte, nahm Catherine Tante Lanis Hand. »Es tut so gut, dich zu sehen. Mir war gar nicht klar, wie sehr ich euch alle vermisst habe. Ich werde mit meinen Töchtern kommen, damit sie euch und die Inseln kennenlernen.«
»Tu das. Vielleicht schreibst du ja noch ein Buch?«
»Ich glaube nicht, Tante Lani. Aber ich werde fotografieren.«
»Eine gute Sache, dass du
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