Der Duft der Rose
aufgewühlten Seelenzustand, und an Schlaf war ohnehin nicht zu denken. Nicht, ehe sie mit dem Mann gesprochen hatte.
Vermutlich war es nicht besonders klug, nach Sonnenuntergang an seine Tür zu klopfen. Nach allem, was passiert war. Aber als ihr dieser Gedanke kam, war es bereits zu spät, denn Nicholas Levec öffnete die Tür und sah sie an. Ohne ein Wort trat er zur Seite, und Ghislaine ging mit gesenktem Kopf an ihm vorbei. Erst in der hellerleuchteten Stube sah sie sich um. Kein Glas und kein Teller standen herum, alles war so peinlich sauber, als ...
Ihr Blick fiel auf einen großen Sack aus grobem Leinen, an dem Ledergurte befestigt waren. »Morgen früh bin ich verschwunden, Madame du Plessis-Fertoc. Ihr hättet Euch nicht herbemühen müssen, um mir meine Entlassung mitzuteilen.«
Ghislaine drehte sich um. Er lehnte am Türstock und trug ein sauberes Hemd, die Ärmel waren an den Manschetten geschlossen, und am Hals stand nur ein Knopf offen. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. »Ich bin nicht gekommen, um Euch zu entlassen«, sagte sie, ohne nachzudenken.
Er sah sie schweigend an. Weder hoben sich seine Augenbrauen, noch verzogen sich seine Lippen spöttisch bei ihren Worten. Sie begriff, dass er nichts sagen würde. Also fuhr sie fort: »Heute sind Dinge passiert, die nicht hätten passieren dürfen. Ich denke, darüber sind wir uns einig.«
Er schwieg weiter.
Obwohl sich Ghislaines Kehle wie ausgedörrt anfühlte, schlang sie die Finger ineinander und redete weiter: »Deshalb bin ich gekommen. Um zu besprechen, wie wir weiter zusammenarbeiten können in den nächsten Monaten.«
Er schüttelte den Kopf. »Es gibt keine weitere Zusammenarbeit, Madame la Comtesse, das muss Euch doch klar sein.«
»Ihr habt mir Euer Wort gegeben, ein Jahr lang hierzubleiben und meine Interessen zu vertreten«, erinnerte sie ihn.
»Das war, ehe ich Euch Gewalt angetan habe.«
Ghislaine sah ihn überrascht an. »Ihr habt mir keine Gewalt angetan!«
»Nein?« Er machte ein paar Schritte auf sie zu und griff nach ihrer Hand, um den Ärmel des Kleides nach oben zu schieben. »Wie würdet Ihr das dann nennen?«
Sie blickte auf die dunklen Male, die ihre Handgelenke umschlossen und davon zeugten, dass er ihr eher die Knochen gebrochen hätte, als sich von ihr berühren zu lassen. Langsam hob sie den Kopf. »Warum hasst Ihr mich so? Ihr spürt doch, dass zwischen uns etwas ist. Warum kämpft Ihr so verbissen dagegen an?«
Er ließ ihre Hand los. »Ich hasse Euch nicht. Ich ... es ... es ...« Er brach ab und fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar. »Ich kann es nicht in Worte fassen. Ich weiß nur, dass ich weggehen muss, ehe ich wieder die Kontrolle über mich verliere. Ich habe noch nie einer Frau Gewalt angetan, ich habe noch nie eine Frau so behandelt, wie ich Euch behandelt habe.« Er sah sie mit einem brennenden Blick an, in dem abgrundtiefe Verzweiflung lag. »Ich bitte Euch, meine Entschuldigung anzunehmen.«
»Nur wenn Ihr meine Entschuldigung annehmt«, erwiderte Ghislaine. »Auch ich habe mich einem Mann gegenüber noch nie so verhalten, wie ich mich Euch gegenüber verhalten habe. Ich weiß auch nicht, was in diesen Augenblicken passiert ist. Ich weiß nur, dass ich mich von Euch angezogen fühle. Und dass es Euch ebenso geht.« Sie schwieg einen Moment und sah ihn an. »Ich bin eine erwachsene Frau, die niemandem Rechenschaft schuldet. Keiner leidet darunter, wenn ich meine Bedürfnisse befriedige. Ist es bei Euch anders? Gibt es in Eurem Leben jemanden, dem Ihr verbunden seid? Ist das der Grund, warum Ihr Eurem Verlangen nicht nachgeben wollt?«
Es war die einzige Erklärung, die sie gefunden hatte, um sein Verhalten zu erklären. Wenn er eine Frau oder eine Verlobte hatte, der sein Herz gehörte, erklärte das seinen Hass auf sie und das körperliche Verlangen, das sie in ihm weckte.
Er grub die Hände in die Taschen der Hose. »Nein, es gibt keine Frau, der ich Rechenschaft schuldig bin.«
»Was ist es dann? Euer Stolz?«, bohrte sie weiter.
»Ihr meint, ob es unter meiner Würde ist, der Geliebte der Frau zu sein, für die ich arbeite?«, fragte er mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Stolz ist etwas, was ich vor langer Zeit begraben habe.«
Sie hörte die Bitterkeit in seiner Stimme, beschloss aber, für den Moment nicht darauf einzugehen. Damit konnte sie sich später beschäftigen. »Gut. Im Übrigen will ich, dass Ihr zwei Sachen wisst: Es zählt nicht zu meinen Gewohnheiten,
Weitere Kostenlose Bücher