Der Duft der Rose
die ihr ein entschlossenes Aussehen verlieh. Henri schätzte sie auf Anfang dreißig und die Widersprüchlichkeiten, die er an ihr entdeckte, weckten seine Neugier.
Farid schob seinen Teller beiseite und leerte sein Glas. »Mademoiselle, Messieurs, ich ziehe mich zurück und wünsche einen anregenden Nachmittag. Wir sehen uns abends, wie gewöhnlich.« Er verbeugte sich mit der Hand auf dem Herzen und verließ ohne Eile den Raum.
Mademoiselle d'Asseaux kratzte das letzte Gemüse aus einer Schüssel und tunkte den Saft mit einem Stück Brot auf. Henris Lippen kräuselten sich. Die Frau musste tatsächlich schon länger keine richtige Mahlzeit mehr zu sich genommen haben.
Sie stellte die Schüssel beiseite und ließ ihre Blicke über den Tisch wandern. Nachdem sie festgestellt hatte, dass alles aufgegessen war, griff sie nach dem letzten Stück Brot.
»Ich kann gerne in der Küche Bescheid sagen lassen, dass man Euch noch etwas serviert«, sagte Henri belustigt.
Ihre Wangen röteten sich. »Danke, es war mehr als genug. Ich habe wohl das Augenmaß verloren.«
»Menschen mit gesundem Appetit sind mir ausgesprochen sympathisch, Mademoiselle d'Asseaux. Da Ihr Euch nun gestärkt habt, könnt Ihr mir vielleicht offenbaren, was Euch hergeführt hat«, fügte Henri mit sanftem Nachdruck hinzu.
Die Frau lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich würde es vorziehen, mit Euch unter vier Augen darüber zu sprechen, Euer Gnaden«, antwortete sie und sah Vincent an.
»Monsieur Brasselet ist mein Sekretär, ich habe vor ihm keine Geheimnisse. Ihr könnt unbesorgt sprechen, kein Wort, das Ihr sagt, verlässt diesen Raum«, versicherte er ihr.
Sie schloss resignierend die Augen und presste kurz die Lippen zusammen, als müsse sie Kraft sammeln. »Ich wende mich an Euch, da Ihr meine letzte Hoffnung seid. Vor acht Jahren bin ich mit einem Mann nach Florenz durchgebrannt. Ich war jung und töricht und glaubte an schöne Worte. Und heiße Küsse.« Ihre Finger spielten mit dem Saum des Tischtuchs. »Die Details tun nichts zur Sache. Ich lebte die letzten Jahre als Geliebte eines alkoholsüchtigen Malers in Florenz, kümmerte mich um seinen Haushalt, nahm an den Orgien teil, die er und seine Kumpane veranstalteten, und versuchte, seine Bilder zu verkaufen. Der Dank dafür waren Schmähungen und Schläge. Als meine beiden Söhne im letzten November an Lungenentzündung erkrankten, war kein Geld für einen Arzt oder für Medizin da. Sie starben innerhalb von zehn Tagen. Sie wurden in einem Massengrab beigesetzt, weil Franco nicht bereit war, für ein richtiges Begräbnis Schulden zu machen. Da bin ich gegangen.«
Sie hielt inne und starrte auf das weiße Tischtuch. »Als ich zu meinen Eltern zurückkehrte, ließen sie mich wissen, dass sie mich aus der Familienchronik gestrichen hatten. Für sie gab es keine Tochter mit dem Namen Sophie mehr. Ich wusste nicht weiter und irrte ziellos umher, verdingte mich als Taglöhnerin oder Schankhilfe. Dann hörte ich durch einen Zufall von Belletoile und erinnerte mich daran, dass der Herzog mein Patenonkel ist. Deshalb kam ich hierher.«
»Und was erwartet Ihr jetzt von mir?«
Sie hielt seinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. »Obdach. Eine Zuflucht, bis ich Klarheit über meinen weiteren Weg gewonnen habe.«
Henri nickte, kaum dass sie ihren Satz beendet hatte. »Das sei Euch gewährt, Ihr könnt bleiben, solange Ihr wollt.«
Ungläubig sah sie ihn an. »Aber ... aber Ihr kennt mich nicht. Ich könnte das alles erfunden haben ... Wollt Ihr keine Beweise dafür, dass ich ein Patenkind Eures Vaters bin?«
»Habt Ihr solche Beweise?«, fragte Henri zurück.
»Nein.« Sie schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich dachte, in den Aufzeichnungen hier auf Belletoile würde sich der Beweis finden.«
»Möglicherweise ist es so. Allerdings habe ich nicht die Absicht, danach zu suchen. Ihr erweckt nicht den Anschein, eine Betrügerin zu sein, Mademoiselle d'Asseaux, und ich habe mich sehr selten in einem Menschen getäuscht.«
Der ernste Ausdruck auf dem Gesicht der jungen Frau verschwand und machte einem Lächeln Platz, das sich langsam bis zu ihren Augen ausbreitete. »Danke, Euer Gnaden, ich danke Euch von ganzem Herzen. Ich verspreche, Ihr werdet es nicht bereuen, mich hier aufgenommen zu haben. Wenn ich mich Eurer Güte in welcher Art auch immer erkenntlich zeigen kann, dann werde ich es gerne tun.«
Henri musterte sie schweigend. »Wir werden sehen«,
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