Der Duft der Rose
Baldachin des Bettes hoch. Welch ein Gegensatz zu den schäbigen Kammern, in denen sie sonst gehaust hatte. Sie fuhr mit dem Handrücken über ihre Augen, dabei blieb ihr Blick auf dem Ärmel der Jacke hängen. Verschlissen. Wie das Kleid darunter. Zu spät fiel ihr ein, dass sie außer den schmutzigen, abgenutzten Kleidern, die sie am Leib trug, nur zwei Unterhemden besaß. Derart unpassend konnte sie nicht beim Abendessen mit dem Herzog erscheinen. Sie stand auf und ging zum Spiegel, der über der Kommode hing. Es war lange her, dass sie sich in einem Spiegel betrachtet hatte, der nicht blind und fleckig war.
Die Frau, die ihr entgegenblickte, sah blass und erschöpft aus. Viel älter, als sie war. Die Augen glanzlos, Kinn und Nase spitz, das viel zu rote Haar ein krauses Gewirr auf ihrem Kopf. Sie runzelte die Stirn. Es glich in der Tat einem Wunder, dass der Herzog sie nicht hinausgeworfen hatte, sobald er ihrer ansichtig geworden war.
Ein Klopfen an der Tür riss sie aus den Gedanken. Als sie öffnete, knickste ein junges Mädchen vor ihr. »Ich bin Danielle und für die Dauer Eures Aufenthalts Eure Zofe, Mademoiselle d'Asseaux. Seine Gnaden trug mir persönlich auf, dass ich alles tun soll, damit Ihr Euch auf Belletoile wohlfühlt.«
Überrascht ließ Sophie das Mädchen eintreten. Mit so viel Aufmerksamkeit hatte sie nicht gerechnet. Danielle sah sich mit flinken Blicken um und griff dann nach dem Bündel neben dem Bett. »Soll ich Eure Sachen in die Waschküche bringen lassen?«
»Nein!« Das schrill hervorgestoßene Wort hallte im Raum. Sophie riss dem verdatterten Mädchen das Bündel aus der Hand und presste es an die Brust. »Das ist nicht nötig, alles ist sauber.«
»Wie Ihr wünscht.« Danielles Miene verriet nicht, was sie dachte. »Soll ich Euch ein Bad vorbereiten lassen?«, frage sie, als wäre nichts geschehen. Als würde Sophie das schäbige Bündel nicht an sich pressen, als enthielte es Gold und Juwelen.
Erleichtert nickte Sophie. »Oh ja, das wäre großartig.« Sie zögerte einen Moment. »Ich soll mit dem Herzog dinieren, besitze aber keine passende Robe ...«
»Ich werde mich darum kümmern, oft lassen Gäste Gewänder zurück, die wir verwahren. Ich bin sicher, dass sich darunter etwas Passendes für Euch finden wird.« Wieder ließ sich das Mädchen keinen Gedanken anmerken, sondern tat, als käme es jeden Tag vor, dass man Gäste ohne geeignete Garderobe beherbergte. »Habt Ihr sonst noch Wünsche, Mademoiselle d'Asseaux?«
»Nein, vielen Dank. Ein Bad und ein Kleid für das Diner mit dem Herzog, mehr brauche ich nicht.« Sie lächelte, aber Danielle knickste nur, ohne eine Miene zu verziehen, und verließ das Zimmer.
Sophie ließ die Arme sinken und legte das Bündel aufs Bett. Mit zitternden Händen knotete sie die Ecken auseinander und strich sie glatt. Neben ihren wenigen Kleidungsstücken lagen zwei winzige Hemden. Sophie hob sie hoch und vergrub das Gesicht darin. Wie immer bildete sie sich ein, den unverwechselbaren Duft von Mario und Stefano zu riechen. Wenn sie die Augen schloss, dann hörte sie für einen kurzen Moment das unbeschwerte Kinderlachen der beiden. Die Hemdchen waren alles, was ihr von ihren Söhnen geblieben war, und sie hütete diesen Schatz wie ihren Augapfel.
Vorsichtig faltete Sophie die Kleidungsstücke wieder zusammen und entschloss sich dann, sie in die Lade ihres Nachtkästchens zu legen. So konnte sie jeden Abend mit den Fingern darüberstreichen, ehe sie einschlief. Ihre anderen Habseligkeiten verstaute sie in einer der Truhen, die sich im Zimmer befanden.
Zwei Diener schleppten eine Kupferwanne herbei, eine Reihe weiterer Männer folgte ihnen mit Wassereimern. Danielle brachte Seife und Handtücher, ein anderes Mädchen legte drei Kleider samt Unterwäsche aufs Bett.
Die Verwandlung, die sich in den nächsten Stunden an ihr vollzog, nahm Sophie den Atem. Nach dem genussvollen Verweilen im warmen, duftenden Wasser half ihr Danielle bei der Anprobe der Kleider und frisierte ihr Haar. Zwar war das Mädchen nicht sehr gesprächig, aber Sophie beschäftigten ohnehin die verschiedensten Überlegungen, deshalb vermisste sie die Unterhaltung nicht. Als sie schließlich mit Danielle über den langen Flur zur Treppe ging und die smaragdgrüne Seide des Kleides leise raschelte, fühlte sie sich wie in einem Märchen. Während sie den Rock raffte, um auf den Stufen nicht zu stolpern, flüsterte ihr ein kleines Teufelchen zu, dass ihr Leben so hätte
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