Der Duft der Rosen
aufheulte. Im Zimmer wirkte es plötzlich dunkler, der blasse Streifen Mondlicht schien die Vorhänge nicht länger durchdringen zu können.
Eine Art elektrischer Spannung lag in der Luft, sodass sich ihre Nackenhaare aufrichteten. Elizabeth trat einen Schritt zurück und presste sich an die Wand. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihr Mund war so trocken, dass ihr die Zunge am Gaumen klebte. Die Luft im Zimmer wurde schwer und stickig, und plötzlich konnte sie kaum mehr atmen. Ein milchiger Dunst kroch in den Raum, ein schwaches Licht bildete sich und schien zugleich doch nicht da zu sein. Draußen jaulte der Wind, ein wütender, fast menschlicher Klagelaut, der an Tod und Sterben denken ließ.
Sie zwang sich dazu, immer wieder tief einzuatmen, und blickte zum Bett. Maria saß aufrecht da, die Beine ausgestreckt, und starrte direkt vor sich. Ihre dunklen Augen waren weit geöffnet, aber blicklos, und Elizabeth hatte den verrückten Gedanken, dass sie noch schlief.
Die Luft verdichtete sich und schien auf der Haut fast spürbar, als Elizabeth den entfernten Duft von Rosen wahrnahm. Der Geruch wurde rasch intensiver und ekelerregend süß, ein widerlicher Gestank, der sie an Tod und Verwesung erinnerte und Übelkeit in ihr aufsteigen ließ. Der abscheuliche Geruch kroch in jede Ritze hinein und erfüllte schnell den ganzen Raum.
Dann verschwand er ebenso plötzlich, wie er gekommen war.
Elizabeths Blick schoss zu Maria, die noch immer völlig starr im Bett saß. Ihre Lippen bewegten sich, und auch wenn Elizabeth die Worte nicht ausmachen konnte, sah sie doch, dass Maria unverwandt auf etwas am Fußende des Bettes starrte.
Zum ersten Mal spürte Elizabeth echte Angst in sich aufsteigen, als der Dunst in dem Raum herumwaberte, sich verdichtete und sie begriff, dass er die Gestalt eines Menschen annahm.
Sie unterdrückte ein erschrecktes Aufschluchzen, als sie schließlich die schmale Silhouette erblickte, die sich vor ihren Augen bildete und immer klarer und klarer wurde, bis sie die Gestalt eines kleines Mädchens erkannte. Nun konnte sie sie sehen: die schwarzen glänzenden Schühchen, den weiten Rock und die hübsche rosarote Schürze darüber. Ihr blondes schulterlanges Haar umrahmte in sanften Wellen ihr Gesicht. Ihre Haut war bleich und durchscheinend, und doch schien ein Anflug von Farbe ihre Wangen zu beleben.
Elizabeth sah sie vor sich und konnte dennoch hinter ihr – oder durch sie hindurch – die Kommode mit der kleinen Porzellanlampe darauf erkennen.
Das Mädchen sagte nichts, jedenfalls konnte Elizabeth nichts hören, auch wenn sie das merkwürdige Gefühl hatte, dass sie irgendwie zu Maria sprach. Die junge Frau begann zu zittern. Ihr ganzer Körper zuckte nahezu unkontrollierbar.
Voller Angst um sie und ihr Baby wollte Elizabeth zu ihr. Panik überfiel sie, als sie erkannte, dass sie sich nicht rühren konnte. Nicht einen Finger. Nicht einmal einen Zeh. Sie wurde gegen die Wand gedrückt, als ob eine unsichtbare Macht sie gelähmt hätte.
Sie öffnete den Mund, doch kein Laut entrang sich ihr, und ihre Angst drohte sie zu übermannen. Ihr Blick fixierte die schmale Gestalt am Fußende des Bettes und musterte sie voller Panik.
Dann verblasste das Bild allmählich und war innerhalb von Sekunden ebenso verschwunden wie der merkwürdige Dunst in dem Raum. Abgesehen vom Summen der Klimaanlage im Wohnzimmer war es völlig still im Schlafzimmer. Maria, die in der Mitte des Bettes saß, blinzelte mehrere Male, blickte hoch und brach in Tränen aus.
Ihr Weinen löste den Bann. Befreit von der Kraft, die sie gelähmt hatte, atmete Elizabeth tief durch und lief mit zitternden Knien zum Bett.
“Maria!” Weil sie Angst hatte, dass sie die junge Frau noch mehr verängstigen könnte, fasste sie sie nur sanft an der Schulter. “Ich bin's, Elizabeth. Geht es Ihnen gut?”
Langsam wandte Maria den Kopf. “Elizabeth?”
“Ja. Ich bin hier. Ich habe alles gesehen.” Sie beugte sich vor, und Maria ließ sich in ihre Arme fallen. “Es ist alles in Ordnung. Es ist vorbei.” Maria klammerte sich an sie und schluchzte an ihrer Schulter.
“Es ist alles in Ordnung”, sagte sie wieder, auch wenn sich im Moment nichts in Ordnung anfühlte.
“Elizabeth … irgendetwas ist passiert. Ich blute.”
Elizabeth blickte hinunter und sah den blutroten Fleck, der sich auf dem Laken ausbreitete. “Oh mein Gott!” Sie sprang auf und rannte zum Telefon im Wohnzimmer. “Bewegen Sie sich nicht!”, rief sie
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