Der Duft der roten Akazie
Die meisten marschierten in kleinen Gruppen von drei oder vier Mann. Einige hatten Pferde, Ochsen und Wagen gekauft, um ihre Habe zu transportieren. Verächtlich wies Adam Ella darauf hin, dass sich unter den Gegenständen häufig Daunenmatratzen, Geschirr und andere überflüssige Dinge befanden.
»Ein Goldgräber darf sich nicht mit zu viel Hab und Gut belasten. Sonst ist er müde, bevor er überhaupt mit dem Graben angefangen hat.«
Ella nahm an, dass er recht hatte. »Aber der Boden ist so hart, Adam«, klagte sie dennoch. »Und Tee schmeckt viel besser aus einer Porzellantasse.«
Er lachte zwar über ihre Bemerkung, doch sie erkannte den gutmütigen Ausdruck in seinen Augen.
Im Laufe des Nachmittags wurde es immer dunkler, und es regnete unablässig. Ella vermutete, dass sie die Nacht wieder im Freien verbringen würden, wovor ihr ziemlich graute. Mittlerweile tat ihr nicht nur der Kopf, sondern auch der Rücken weh. Und abgesehen von ihren körperlichen Beschwerden wurde es ihr zunehmend peinlich, unbegleitet mit Adam zu reisen.
Zugegeben, er wollte ihr helfen und sie an einen sicheren Ort bringen, wofür sie ihm sehr dankbar war. Und dennoch gehörte es sich nicht, dass sie sich allein in Gegenwart eines Mannes aufhielt, der weder ihr Gatte noch ein Verwandter war. Auch wenn sie ihr Gedächtnis verloren hatte, kannte sie dennoch die Regeln ihrer auf Förmlichkeiten bedachten Gesellschaftsschicht.
Einer der beiden Goldgräber hatte sie sogar als Adams »bessere Hälfte« bezeichnet. Empört hatte Ella darauf gewartet, dass Adam den Mann auf seinen Irrtum hinwies. Als das nicht geschah, hatte sie zu einer Erklärung angesetzt, dann jedoch Adams warnenden Blick aufgefangen und war verstummt. Adam beugte sich zu ihr hinüber. »Wenn Sie sich umschauen, Mrs Seaton, werden Sie feststellen, dass hier fast ausschließlich Männer unterwegs sind. Also ist es angenehmer für Sie, dass man Sie für jemandes ›bessere Hälfte‹ hält, selbst wenn dieser Jemand nur ein Händler wie ich ist.«
Ella sah sich um, erkannte, dass er recht hatte, und äußerte beim nächsten Mal keinen Widerspruch.
Nun wandte er sich zu ihr um. »Ist alles in Ordnung?«
»Wird es denn nie aufhören zu regnen?«, murmelte sie ungehalten und zog die Decke fester um sich. Das nasse Haar klebte ihr am Kopf, und der Verband war völlig durchweicht. Noch nie im Leben hatte sie sich so elend gefühlt. In diesem Punkt war sie sicher, denn sonst hätte sie sich bestimmt daran erinnert.
»Bald sind wir da.«
»Am Gasthof?«, rief sie freudig überrascht aus.
Aber er schüttelte lachend den Kopf. »Nein, am Gap. Dort können wir unser Nachtlager aufschlagen.«
Eine weitere Nacht im Freien war eine so grauenhafte Vorstellung, dass sich Ella nur wortlos schüttelte.
Die Sonne ging unter, verborgen hinter Wolken, und es wurde von Minute zu Minute dunkler. Bess’ Ohren zuckten, als habe sie etwas gehört, das Ella nicht wahrnehmen konnte. Wolf lief voraus, um nach dem Rechten zu sehen. Allmählich schnappte Ella Geräusche auf, die die Stille durchdrangen. Erst waren es nur leise Stimmen. Dann roch sie den Qualm eines Feuers, gemischt mit Essensdünsten.
Vor ihnen befand sich ein großer Lagerplatz. Am Straßenrand und zwischen den Bäumen standen Zelte und behelfsmäßige Behausungen. Aus düsteren baumwollenen Höhlen und unter Wagen und Karren hervor blickten ihnen müde, bleiche Gesichter entgegen.
Pferde weideten mit hängenden Köpfen, während die Ochsen frei umherstreiften. Die Glocken um ihre Hälse läuteten rhythmisch. Überall tropfte Wasser.
Für Ella war es wie eine klatschnasse Version der Hölle.
»Da wären wir«, verkündete Adam vergnügt.
Sie starrte ihn entgeistert an.
Er lächelte, da er ihre Empörung erahnte. »In der Gegend wimmelt es von Straßenräubern, Mrs Seaton. Deshalb schließen sich die Reisenden aus Sicherheitsgründen zusammen.«
Ella war so erschöpft und durchgefroren, dass sie zusammengekauert neben dem Karren sitzen blieb, während Adam das Lager aufschlug. Erst als das Feuer – ein wahres Wunder bei diesem Regenwetter – hell emporloderte und er ihr einen Becher heißen Tee in die Hand drückte, kehrten ihre Lebensgeister zurück.
Im Gap, wie Adam diesen Ort nannte, ging es so geschäftig zu wie in einer Stadt am Markttag. Trotz der drangvollen Enge trafen ständig weitere Ochsengespanne ein. Die Fahrer riefen einander etwas zu oder überhäuften ihre Tiere mit den übelsten Verwünschungen.
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