Der Duft Der Wüstenrose
Gedanke an Johns Mutter brachte sie auf eine Idee.
Als ihre Tochter offensichtlich satt und zufrieden wieder eingeschlafen war, legte sie sie zurück auf ihr Lager und trieb die Pferde an, diesmal in nördliche Richtung hin zu dem Köcherbaumwald. Sie würde in dem Steinkreis über nachten, dort war sie sicher, das wusste sie tief in ihrem Innersten.
Und wenn sie John richtig verstanden hatte, war das ein Ort, an dem seine Mutter sich manchmal bei Vollmond aufhielt. Wenn Zahaboo wirklich eine Zauberin war, dann musste sie ihr erklären, was es mit den Perlen auf sich hatte, und ihr helfen, sich und ihre Tochter zu retten. Seine Mutter wusste, wie es war, ein Kind zu haben, das, wie John es ausgedrückt hatte, auf zwei verschiedenen Beinen stand, einem europäischen und einem afrikanischen.
Mit diesem Ziel vor Augen fühlte sie sich besser, und ihre Hoffnung kam zurück, doch je länger sie unterwegs war, desto schwindeliger wurde ihr. Sie hatte keinen Hut dabei, und die Sonne brannte erbarmungslos herab, selbst die Wolken milderten die Kraft ihrer Strahlen kaum. Ich muss etwas dagegen tun, dachte Fanny, ich kann es mir nicht leisten, jetzt auch noch einen Sonnenstich zu bekommen. Sie riss kurzerhand ein Stück Saum von dem Rock ab, den ihr Kajumba gegeben hatte, und band ihn um ihren Kopf. Das war schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte, weil ihr Kopf aufgrund der Wunden so empfindlich war und ihre Hände so zitterten. Sie gönnte sich einen Schluck aus dem Wasserschlauch und sah nach ihrer Tochter. Verunsichert betrachtete sie die Landschaft. Durch den Regen war über Nacht kniehohes Gras aus dem Boden geschossen, und alles sah ganz anders aus als im Winter.
Fanny drehte sich rastlos immer wieder um, zwang sich dann aber, nach vorne über die weite Ebene zu schauen, und merkte, wie sie dabei ruhiger wurde. Das Gras schimmerte silberweiß in der Sonne und wogte im Wind hin und her wie ein riesiger Zauberteppich. Sie entspannte sich etwas und atmete tiefer, doch da bohrte sich sofort der Schmerz zwischen ihre Rippen wie ein Messerstich. Leise stöhnend sah sie nach ihrer Tochter und dann nach möglichen Verfolgern. Nichts, bis jetzt war niemand zu sehen, auch keine unheilverkündende Staubwolke.
Etwas zuversichtlicher richtete sie ihren Blick wieder nach vorne. Wenn sie sich nur genauer daran erinnern könnte, wie der Weg zu dem Köcherbaumwald ausgesehen hatte. Sie hoffte, dass ihre Intuition sie richtig leiten würde. Für einen Moment schloss sie die Augen und überließ die Pferde ihrem Trott. Nur kurz, nur einmal entspannen. Das tat so gut, dass sie sich zwingen musste, die Augen wieder aufzureißen. Sie packte die Zügel so stramm, dass das Leder fest in ihre Hand einschnitt, und fing an, leise Ave-Marias zu beten, um nicht einzuschlafen.
Doch das sanfte Rauschen des Windes im Gras und das leise Surren der Mücken vermischte sich mit dem eintönigen Geratter des Wagens und dem gleichmäßigen Traben der Pferde zu einem sanften Wiegenlied, lullte sie nach und nach ein, und schließlich fielen ihr die Augen zu.
Sehr viel später schreckte sie hoch, und ihr wurde mit Entsetzen klar, dass sie doch eingedöst war. Die Pferde waren einfach weitergezuckelt, ohne dass sie sie angetrieben hatte.
Panisch drehte sie sich um und war sicher, dass Ludwig ihnen dicht auf den Fersen war. Niemand war weit und breit zu sehen, nur ihre Tochter, die auf ihrem Lager schlief.
Die zuvor noch weißen Wolken hatten sich zu dunkelgrauen Bergen zusammengeballt, die so wütend wirkten, als ob sie die Welt mit Blitzen auseinandersprengen und in einer Sintflut ertränken wollten.
Sie hatte sich Regen gewünscht, doch erst später, wenn sie an ihrem Ziel wäre. Auf keinen Fall jetzt. Dieser Karren hatte kein Dach, und sich mit ihrer Tochter unter den Wagen zu legen war viel zu riskant, weil sie davongeschwemmt werden konnten, wenn der Regen sehr stark wäre.
Eine Herde Springböcke kreuzte ihren Weg, aber Fanny wollte die Pferde nicht anhalten. Sie wollte weiter, nur weiter, und trieb die Tiere mit aller Kraft an. Gott, dachte sie, Gott, du hast mir nur Steine in den Weg gelegt, ach was, Felsblöcke, Berge, ich weiß nicht mehr, wie ich da beten soll, ob ich überhaupt beten soll. Es hat dich nie besonders geschert, was mir widerfahren ist, aber jetzt habe ich eine Tochter, und das bedeutet, dass ich besser auf mich aufpassen muss denn je.
Meine Tochter – Fanny stutzte. Diese ihre Tochter brauch te einen Namen. Charlotte,
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